Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
Huyghens’ Volute.
Vier Zugpferde, die nach dem Regen heftig dampften, waren gerade dabei, einen ramponierten deutschen Panzer aus der Eingangshalle des Château s zu ziehen. Es waren große Pferde, wie Cesar. Hannibal freute sich, sie zu sehen, und hoffte, sie wären seine Schutzgeister. Der Panzer war auf Laufrollen aufgebockt. Nach und nach wuchteten ihn die Pferde aus der Eingangsöffnung, als zögen sie einen Zahn, und jedes Mal, wenn der Mann, der sie führte, zu ihnen sprach, bewegten sie aufmerksam die Ohren.
»Die Deutschen haben einfach mit ihrem Geschütz den Eingang zerschossen und sind rückwärts in die Halle gefahren, um vor den Flugzeugen in Deckung zu gehen«, erklärte Graf Lecter seinem Neffen, als das Auto hielt. Er hatte sich inzwischen daran gewöhnt, keine Antwort zu bekommen, wenn er etwas zu dem Jungen sagte. »Und als sie dann abzogen, haben sie den Panzer einfach dort stehen lassen. Wir konnten ihn nicht wegschaffen. Deshalb haben wir das verdammte Ding mit Blumenkästen geschmückt und sind fünf Jahre lang um ihn herumgegangen. Mittlerweile verkaufen sich meine lange als ›subversiv‹ bezeichneten Bilder wieder, und wir können es uns leisten, ihn entfernen zu lassen. Komm, Hannibal.«
Der Majordomus, der nach dem Delahaye Ausschau gehalten hatte, kam zusammen mit der Haushälterin nach draußen, um den Grafen zu begrüßen. Für den Fall eines weiteren Regengusses hatten sie Schirme dabei. Sie wurden von einer Dogge begleitet.
Hannibal rechnete es seinem Onkel hoch an, dass er ihn dem Personal in aller Förmlichkeit auf dem Platz vor dem Château vorstellte, statt einfach ins Haus zu eilen und über seine Schulter hinweg zu sprechen.
»Das ist mein Neffe Hannibal. Er gehört jetzt zu uns, und wir sind sehr glücklich, ihn hier zu haben. Das ist Madame Brigitte, meine Haushälterin. Und das ist Pascal, der dafür sorgt, dass alles seinen reibungslosen Ablauf nimmt.«
Madame Brigitte war einmal ein hübsches Mädchen gewesen. Sie verfügte über eine gute Menschenkenntnis und machte sich aufgrund von Hannibals Betragen sofort ein Bild von ihm.
Die Dogge begrüßte den Grafen begeistert; was Hannibal anging, behielt sie sich ein endgültiges Urteil noch vor. Sie blies etwas Luft aus ihren Lefzen. Hannibal hielt ihr seine offene Hand hin, worauf sie unter ihren Brauen hervorschnüffelnd zu ihm aufsah.
»Wir müssen gleich etwas zum Anziehen für Hannibal heraussuchen«, sagte der Graf zu Madame Brigitte. »Sehen Sie mal in den alten Truhen aus meiner Schulzeit oben auf dem Dachboden nach. So allmählich werden wir ihn schon ausstaffieren.«
»Was ist mit dem kleinen Mädchen, seiner Schwester?«
»Wir haben sie noch nicht gefunden, Brigitte.« Mit einer entschiedenen Geste beendete der Graf das Thema.
Hannibals Impressionen, als er sich dem Eingang des Château s näherte: das Schimmern der nassen Pflastersteine auf dem Vorplatz; das glänzende Fell der Pferde nach dem Regenschauer; das schillernde Gefieder einer schönen Krähe, die aus der Regenrinne an der Ecke des Daches trank; die flüchtige Bewegung eines Vorhangs hinter einem Fenster im Obergeschoss; der Glanz von Lady Murasakis Haar, dann ihre Silhouette.
Lady Murasaki, die Frau des Grafen, öffnete das Fenster. Das Abendlicht berührte ihr Gesicht, und Hannibal, eben der Ödnis eines unaufhörlichen Albtraums entsprungen, tat den ersten Schritt auf die Brücke der Träume ...
Aus der Anstalt in ein Zuhause zu kommen war für Hannibal der Himmel auf Erden. Das Mobiliar im Château war ebenso ungewöhnlich wie einladend, ein Mix von Epochen. Graf Lecter und Lady Murasaki hatten alles wieder vom Dachboden heruntergeholt, nachdem die plündernden Nazis vertrieben worden waren. Während der Besatzungszeit war das bedeutende Mobiliar Frankreichs in Zügen nach Deutschland geschafft worden.
Hermann Göring und der Führer persönlich hatten ein begehrliches Auge auf das Werk Robert Lecters und anderer wichtiger Künstler in Frankreich geworfen. Nach dem Einmarsch der Deutschen war es eine von Görings ersten Maßnahmen gewesen, Robert Lecter als »subversiven slawischen Künstler« verhaften zu lassen und so viele seiner »dekadenten« Gemälde wie möglich zu konfiszieren, um die »Öffentlichkeit vor ihnen zu schützen«. Die Bilder landeten in Görings und Hitlers Privatsammlungen.
Als Robert Lecter von den vorrückenden Alliierten aus dem Gefängnis befreit wurde, versuchten er und Lady Murasaki, die früheren
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