Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
Überdrehtes, leicht Ordinäres und rauchte mit affektierten Bewegungen und übertriebenem Wimperngeklimper.
Die Lagerarbeiter, die den Platz vor der Laderampe fegten, spitzten die Ohren, um mitzubekommen, was sie sagten, aber sie konnten die Frau nur lachen hören. Sie sah Hannibal beim Reden in die Augen, und nach und nach fiel das kokette Getue von ihr ab. Sie schien fasziniert von ihm, geradezu hypnotisiert. Schließlich gingen sie gemeinsam die Straße hinunter und verschwanden in einer Bar.
Dienst am Tor hatten Müller und Gassmann, ein anderer Deutscher, der vor Kurzem aus der Fremdenlegion entlassen worden war. Müller versuchte seinen Landsmann gerade zu überreden, sich tätowieren zu lassen, als Milkos Laster auf das Wachhaus zugefahren kam.
»Am besten sagen wir gleich mal dem Tripperdoktor Bescheid«, brummte Müller. »Milko ist aus Paris zurück.«
Gassmann hatte die besseren Augen. »Das ist nicht Milko.«
Sie gingen nach draußen.
»Wo ist Milko abgeblieben?«, fragte Müller die Frau, die am Steuer des Lkw saß.
»Woher soll ich das wissen? Er hat mir Geld gegeben, dass ich den Flügel hierher bringe. Er hat gesagt, er würde in ein paar Tagen nachkommen. Könntet ihr mir vielleicht schnell mal helfen, das Motorrad hinten runterzuheben – zwei so große, starke Kerle wie ihr?«
»Wer hat dir Geld gegeben?«
»Monsieur Zippo.«
»Milko, meinst du.«
»Klar, richtig. Milko.«
Hinter dem Fünftonner hielt der Lieferwagen eines Partyservice. Der Mann, der am Steuer saß, begann schon nach kurzer Zeit, ungeduldig mit den Fingern aufs Lenkrad zu trommeln.
Gassmann hob die Plane des Fünftonners ein Stück an und warf einen Blick darunter. Auf der Ladefläche des Lasters waren ein Bösendorfer-Stutzflügel und eine Kiste mit der Aufschrift: › Pour la cave – An einem kühlen und trockenen Ort lagern‹. Das Motorrad war an der Bordwand des Lkw festgeschnallt. Auf der Ladefläche befand sich zwar auch eine lange Planke, auf der sich das kleine Motorrad hätte herunterschieben lassen, aber es war mit weniger Aufwand verbunden, es einfach herunterzuheben.
Müller kam, um Gassmann mit dem Motorrad zu helfen. Er sah die Frau an. »Lust auf was zu trinken?«
»Nicht hier«, sagte sie und schwang sich auf das Motorrad.
»Deine Kiste klingt wie ein missglückter Furz«, rief Müller ihr hinterher, als sie davonfuhr.
»Wenn du die rumkriegen willst, musst du schon deinen Charme ein bisschen spielen lassen«, sagte der andere Deutsche.
Der Klavierstimmer war ein Gerippe von einem Mann, mit dunklen Stellen zwischen den Zähnen und einem gefrorenen Lächeln wie das von Lawrence Welk. Nachdem er den schwarzen Bösendorfer fertig gestimmt hatte, schlüpfte er in einen uralten Frack mit weißer Fliege und setzte sich an den Flügel, um das Eintreffen von Grutas’ Gästen musikalisch zu untermalen. Wegen der Steinböden und der großen Glasflächen der Villa hallte der Klang sehr stark. Die Borde eines .Bücherregals aus Glas und Stahl begannen bei B-Dur so laut zu vibrieren, dass er schließlich die Bücher darauf anders anordnete. Anschließend vibrierte das Regal, wenn er in h-Moll spielte.
Beim Stimmen hatte er auf einem Küchenstuhl gesessen, aber beim Spielen wollte er sich damit nicht zufriedengeben.
»Worauf soll ich sitzen? Wo ist der Klavierhocker?«, fragte er das Hausmädchen, das die Frage an Müller weitergab. Der Deutsche brachte einen Stuhl, der die richtige Höhe, aber auch Armstützen hatte.
»Soll ich etwa die ganze Zeit mit gespreizten Ellbogen spielen?«, protestierte der Klavierstimmer.
»Halt endlich die Klappe und spiel was Amerikanisches«, schnauzte Müller den Mann an. »Er will amerikanische Barmusik hören. Und zwar mit Gesang.«
Das Buffet war für die Bewirtung von dreißig Gästen ausgelegt, allerlei seltsames Strandgut des Krieges. Iwanow von der sowjetischen Botschaft war da, eindeutig zu gut angezogen für einen kommunistischen Staatsdiener. Er unterhielt sich mit einem amerikanischen First Sergeant, der im U.S. Post Exchange in Neuilly-sur-Seine die Buchführung machte. Der Sergeant war in Zivil gekommen und trug einen schlecht sitzenden Anzug mit einem Karomuster, dessen Farbe den Sternnävus an der Seite seiner Nase noch stärker zur Geltung brachte. Der Bischof von Versailles wurde von einem Messdiener begleitet, der ihm auch die Nägel machte. Unter der gnadenlosen Neonbeleuchtung hatte das schwarze Bischofsgewand einen grünlichen Roastbeefglanz,
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