Hannibal
bestätige Ihnen gern, welche Art von Person sie war, Mr. Sneed: Sie war besser als Sie.« Pearsall kam ohne Noonan ins Büro zurück und schloß die Tür hinter sich. »Meine Herren, Direktor Noonan ist bereits auf dem Weg zurück in sein Büro. Ich schlage vor, daß wir uns vertagen. Ich werde mich persönlich bei jedem einzelnen von Ihnen melden«, sagte Pearsall. Alarmiert hob Krendler den Kopf. Politik lag in der Luft. »Wir haben noch etwas zu beschließen«, begann Sneed. »Das haben wir nicht.« »Aber -« »Glauben Sie mir, Bob, wir haben hier überhaupt nichts zu beschließen. Ich komme auf Sie zu. Und, Bob?« »Ja?« Pearsall griff nach dem Mikrofon unter Sneeds Krawatte und riß es mit einem heftigen Ruck herunter. Hemdknöpfe spritzten weg. Das Klebeband verabschiedete sich mit einem häßlichen Ton von Sneeds Haut. »Solltest du noch mal mit einem Mikro in meinem Büro auftauchen, dann trete ich dir in den Arsch.« Außer Krendler würdigte keiner von ihnen Starling eines Blickes, als sie das Zimmer verließen. Er bewegte sich mit leicht schlurfendem Gang auf die Tür zu, so daß er auf etwaige Hindernisse nicht achten mußte, und drehte seinen Kopf beängstigend weit nach hinten, um ihr ins Gesicht schauen zu können, wie eine Hyäne, die am Rand einer Herde entlangstreift und nach einem Opfer Ausschau hält. Widerstreitende Gefühle spiegelten sich in seinem Gesicht. Es lag in Krendlers Natur, beides genießen zu können, den Anblick von Starlings Beinen und die Aussicht auf die Achillesferse einer Gegnerin.
KAPITEL 8
Die Abteilung für Verhaltensforschung ist die Sektion des FBI, die sich mit Serienkillern befaßt. In deren Büros im Keller ist die Luft kühl und abgestanden. In den letzten Jahren haben Malerfirmen wiederholt versucht, für etwas mehr Farbe in dieser Unterwelt zu morgen. Dem Ergebnis ist kaum mehr Erfolg beschieden gewesen als dem Tünchen einer Leichenhalle. Das Büro des
Abteilungsleiters bleibt dem originalen Braunton und den karierten kaffeefarbenen Vorhängen an den hochgelegenen Fenstern treu. Hier, umgeben von den Akten, die einen Blick in die Abgründe der menschlichen Seele gestatteten, saß Jack Crawford an meinem Schreibtisch und schrieb. Ein Klopfen. Crawford sah auf. Ein Anblick, der ihn erfreute. - Im Türrahmen stand Clarice Starling. Crawford lächelte und erhob sich von seinem Stuhl. Er und Starling sprachen oft im Stehen miteinander. Es war eine jener
unausgesprochenen Verabredungen in ihrem Umgang, zu denen die beiden über die Jahre hinweg gefunden hatten. Ein Händeschütteln war in ihrem Fall überflüssig. »Wie ich hörte, waren Sie im Krankenhaus«, sagte Starling. »Es tut mir leid, daß wir uns verfehlt haben.« »Ich war mehr als froh, daß man Sie so schnell entlassen hat«, sagte er. »Wie geht es Ihrem Ohr? So weit wieder alles in Ordnung?« »Sofern man eine Vorliebe für Blumenkohl hat, ja. Sie haben mir erklärt, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach keine bleibenden Schäden davontragen werde.« Ihr Ohr war durch ihre Haare verdeckt. Sie machte keine Anstalten, es ihm zu zeigen. Für einen Augenblick trat Stille ein. »Die hatten vor, mich für das Scheitern der Razzia verantwortlich zu machen, Mr. Crawford. Für Evelda Drumgos Tod, einfach für alles. Wie Hyänen haben sie sich auf mich gestürzt. Aber dann ließen sie plötzlich von mir ab. Irgend etwas hat sie verjagt.« »Vielleicht haben Sie ja einen Schutzengel, Starling.« »Ja, vielleicht habe ich das. Was hat es Sie gekostet, Mr. Crawford?« Crawford schüttelte den Kopf. »Schließen Sie bitte die Tür, Starling.« Crawford kramte ein zerknülltes Kleenex aus seiner Tasche und begann seine Brille zu putzen. »Ich hätte es getan, wenn es in meiner Macht gestanden hätte. Doch mir hat die Kraft dazu gefehlt. Wenn Senatorin Martin noch im Amt wäre, hätten Sie die nötige Rückendeckung gehabt ... Sie haben John Brigham verheizt in dieser Razzia - sein Leben einfach weggeworfen. Es wäre eine Schande gewesen, wenn die mit Ihnen das gleiche gemacht hätten wie mit John. Ich fühlte mich wie jemand, der Sie beide auf ein Himmelfahrtskommando geschickt hat.« Crawfords Wangen röteten sich, und sie mußte an sein Gesicht denken, im kalten Wind am Grab von John Brigham. Crawford hatte nie zuvor mit ihr über seinen Krieg gesprochen. »Irgend etwas müssen Sie unternommen haben, Mr. Crawford.« Er nickte. »Sie haben recht. Ich weiß allerdings nicht, ob Sie darüber erfreut sein werden. Es
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