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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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anzudeuten. Lichter flammten auf. Irgend jemand hatte noch eine Zweihundert-Lire-Münze aufgetrieben. Genau in dem Moment, als sie ihn berühren wollte, blickte sie in seine Augen und fühlte, wie seine rot aufscheinenden Pupillen sie zu verschlingen drohten, fühlte, wie ein Eishauch sie anwehte und ihr das Herz gegen die Rippen preßte, Sie ließ sofort von ihm ab und bedeckte das Gesicht des Babys mit ihrer Hand. Sie hörte sich sagen: »Perdonami, perdonami, signore.« Dann wandte sie sich um und floh. Der Doktor schaute ihr einen Augenblick lang nach, bis das Licht erlosch und er vor dem Hintergrund der Kerzen der Kapelle neuerlich zu einer Silhouette wurde. Dann ging er leichten, schnellen Schrittes seiner Wege. Pazzi, bleich vor Zorn, fand Romula auf ein Weihwasserbecken gestützt, sie benetzte den Kopf ihres Babys wieder und wieder mit geweihtem Wasser,
vorsichtshalber auch die Augen, für den Fall, daß es Dr. Fell angesehen hatte. Sein Fluchen erstarb ihm auf den Lippen, als er in ihr angsterfülltes Gesicht blickte. Ihre Augen wirkten riesig in der Finsternis. »Das ist der Teufel«, sagte sie. »Scheitan, der Sohn des Morgens, eben habe ich ihn gesehen.« »Ich bringe dich ins Gefängnis zurück«, sagte Pazzi. Romula betrachtete das Gesicht ihres Babys und seufzte laut auf. l m Schlachthausseufzer, tief und voller Trauer, schrecklich anzuhören. Sie streifte das Silberarmband von ihrem Handgelenk und wusch es mit Weihwasser ab. »Noch nicht«, sagte sie.

KAPITEL 27
    Hätte Rinaldo Pazzi sich entschieden, seiner Pflicht als
Gesetzeshüter nachzukommen, hätte er Dr. Fell verhaften lassen und sehr schnell feststellen können, ob es sich bei ihm und Hannibal Lecter um ein und dieselbe Person handelte. Innerhalb einer halben Stunde hätte er einen Haftbefehl erwirken können, um Dr. Fell aus dem Palazzo Capponi zu holen. Keine Alarmanlage dieser Welt hätte das verhindern können. Kraft seines Amtes hätte er Dr. Fell ohne nähere Angabe von Gründen so lange festhalten können, bis dessen Identität zweifelsfrei feststand. Ein Abgleich der Fingerabdrücke im Hauptquartier der Questura hätte innerhalb von zehn Minuten Gewißheit darüber gebracht, ob Dr. Fell Dr. Lecter war. PFLP-DNA-Tests hätten allerletzte Zweifel ausgeräumt. All diese Möglichkeiten waren Pazzi nun verschlossen. Mit der Entscheidung, Dr. Lecter ans Messer zu liefern, war aus dem Polizeibeamten ein Kopfgeldjäger geworden, außerhalb des Gesetzes und allein. Sogar die Polizeispitzel, die ihm ansonsten zuarbeiteten, waren nunmehr nutzlos für ihn. Sie hätten nichts Eiligeres zu tun gehabt, als ihn zu verpfeifen. Die Verzögerungen frustrierten ihn zwar, aber er war fest entschlossen. Er würde diese verdammten Zigeuner schon dazu bringen, daß sie ... »Würde Gnocco es tun, Romula? Kannst du ihn für mich auftreiben?« Sie saßen im Wohnzimmer der geliehenen Wohnung an der Via de’ Bardi gegenüber dem Palazzo Capponi. Zwölf Stunden waren seit dem Debakel in Santa Croce vergangen. Eine kleine Tischlampe erhellte den Raum kaum mehr als in Brusthöhe. Über den Lampenschirm hinweg funkelten Pazzis schwarze Augen Romula im Halbdunkel an. »Ich werde es selbst tun, aber ohne das Baby«, sagte Romula. »Aber Sie müssen mir dafür -« »Nein, er darf dich nicht ein zweites Mal sehen. Würde es Gnocco an deiner Stelle tun?« Romula saß in ihrem langen, schönen Kleid nach vorn gebeugt da. Ihre schweren Brüste berührten ihre Oberschenkel, ihr Kopf lag beinahe auf den Knien. Der Holzarm stand verwaist auf einem Stuhl. In der Ecke saß die ältere Frau, wahrscheinlich Romulas Cousine, und hielt das Baby. Die Fensterläden waren geschlossen. Durch eine Ritze konnte Pazzi einen schwachen Lichtschein im Palazzo Capponi ausmachen. »Ich kann es schaffen. Ich kann mein Äußeres so verändern, daß er mich unmöglich wiedererkennen kann. Ich könnte -« »Nein.« »Dann wird es Esmeralda übernehmen.« »Nein.« Die Stimme kam aus der Ecke. Die alte Zigeunerin sprach zum ersten Mal. »Ich werde mich bis an mein Lebensende um dein Baby kümmern, Romula. Aber niemals, auf gar keinen Fall werde ich Scheitan berühren.« Ihr Italienisch war für Pazzi kaum zu verstehen. »Setz dich gerade hin, Romula«, sagte Pazzi. »Schau mich an. Würde Gnocco deinen Part übernehmen? Romula, du wanderst noch heute nacht zurück ins Sollicciano. Du hast noch drei Monate abzusitzen. Womöglich erwischt man dich beim nächstenmal, wenn du die Zigaretten und das

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