Hannibal
gurgelt. Die Waschmaschine startet das Programm. Starling hüllt sich in ein großes Badehandtuch und tappt in das Wohnzimmer. Sie kommt mit einem halbvollen Whiskyglas Jack Daniel’s zurück. Sie läßt sich auf eine Gummimatte vor der Waschmaschine niedersinken und lehnt sich mit dem Rücken gegen die laufende Maschine. Es ist dunkel. Die Maschine, angenehm warm, gluckst und arbeitet vor sich hin. Starling sitzt mit nach oben gewandtem Gesicht auf dem Boden. Ein paar trockene Schluchzer erschüttern ihren Körper, bevor die ersten Tränen kommen. Dann gibt es kein Halten mehr. Heiße Tränen rollen ihr über die Wangen. Ardelia Mapp kam nach einer langen Fahrt von Cape May gegen 0.45 Uhr nach Hause. Sie verabschiedete sich von ihrem Begleiter an der Tür und betrat gerade ihr Badezimmer, als sie das Wasser rauschen hörte, die Waschmaschine, die zu schleudern anfing. Sie ging in den rückwärtigen Teil des Hauses und schaltete in der Küche, die sie sich mit Starling teilte, das Licht ein. Sie sah Starling in der Waschküche auf dem Boden sitzen, einen Verband um den Kopf. »Starling! Kleines.« Eilig kniete sie sich neben Starling nieder. »Was ist passiert?« »Ich bin angeschossen worden, Ardelia. Ein Streifschuß am Ohr. Sie haben mich im Walter Reed Hospital ärztlich versorgt. Tu mir einen Gefallen und laß das Licht aus, okay?« »Okay. Kann ich dir irgend etwas Gutes tun? Ich habe nichts mitbekommen - wir haben Tapes im Auto gehört - erzähl mir, was -« »John ist tot, Ardelia.« »Nicht Johnny Brigham!« Mapp und Starling waren beide in Brigham verliebt gewesen, als er auf der FBI-Akademie für ihre Ausbildung an der Waffe verantwortlich war. Sie hatten immer versucht, durch den Ärmel seines Hemdes hindurch sein Tattoo zu entziffern. Starling nickte und wischte sich wie ein kleines Kind die Tränen mit dem Handrücken aus den Augen. »Evelda Drumgo und die Crips. Evelda hat ihn erschossen. Sie haben auch Burke erwischt, Marquez Burke vom BATF. Wir sind alle zusammen reingegangen. Evelda muß einen Tip bekommen haben. Das Fernsehen war zum selben Zeitpunkt wie wir vor Ort. Ich sollte Evelda übernehmen. Sie wollte sich einfach nicht ergeben, Ardelia. Sie wollte einfach nicht aufgeben. Sie hat ein Baby bei sich gehabt. Wir haben aufeinander geschossen. Sie ist tot.« Mapp hatte noch nie zuvor in ihrem Leben Starling weinen sehen. »Ardelia, ich habe heute fünf Leute getötet. Mapp setzte sich neben Starling auf den Boden und legte den Arm um sie. Zusammen lehnten sie gegen die laufende Waschmaschine. »Was ist aus Eveldas Baby geworden?« »Ich habe das Blut von ihm abgewaschen. Soweit ich erkennen konnte, hatte er keine äußeren Verletzungen. Im Krankenhaus haben sie gesagt, rein körperlich gesehen sei er in Ordnung. Sie werden ihn in ein paar Tagen in die Obhut von Eveldas Mutter entlassen. Weißt du, Ardelia, was Evelda zu mir gesagt hat, kurz bevor sie starb? Sie sagte: >Laß uns Körperflüssigkeiten austauschen, bitch.<« »Ich mach’ dir was zurecht«, sagte Mapp. »Was?« fragte Starling.
KAPITEL 3
Das Morgengrauen brachte die Zeitungen und die ersten Nachrichten im Fernsehen. Mapp kam mit ein paar Muffins herüber, als sie hörte, daß Starling auf war. Zusammen schauten sie sich die Berichte im Frühstücksfernsehen an. CNN und die anderen Stationen hatten das Filmmaterial angekauft, das von der Kamera des WFUL-Helikopters direkt über der Szene stammte. Die Bilder waren in jeder Hinsicht spektakulär, Starling sah sie sich an. Einmal. Sie mußte mit eigenen Augen sehen, daß Evelda zuerst geschossen hatte. Sie suchte den Blick Mapps, sah den Ärger in deren braunem Gesicht. Dann stand sie auf und rannte hinaus. Sie mußte sich übergeben. »Das ist schwerverdauliche Kost«, sagte sie, als sie bleich und mit zittrigen Knien aus dem Badezimmer zurückkam. Wie gewöhnlich traf Mapp den Nagel auf den Kopf. »Die entscheidende Frage, die du dir stellen solltest, lautet, was empfinde ich, Clarice Starling, angesichts des Todes dieser schwarzen Frau, die ein Kind auf dem Arm trug. Und die Antwort darauf lautet: Sie hat zuerst auf dich geschossen. Ich will, daß du das hier überlebst. Und, Starling, denk daran, wer für die wahnsinnige Politik, die hinter dem Ganzen steckt, verantwortlich ist. Vergiß nicht, welcher irrwitzigen Logik du es zu verdanken hast, daß ihr beide, du und Evelda Drumgo, an diesem traurigen Ort aufeinandertreffen mußtet, um mit Waffengewalt das
Drogenproblem unter
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