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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Gäßchens dem Palazzo gegenüberlag, rannte in die Scheibe hinein, drehte sich um und taumelte dann, eine Erscheinung in Weiß, davon. Sie schrie: »Carlo! Carlo!« Große Flecken breiteten sich auf der zerschnittenen Leinwand aus, die die Gestalt bedeckte. Carlo hielt seinen Bruder in den Armen, durchschnitt die Plastikfessel, die um seinen Hals geschlungen war und das Leintuch wie eine blutige Maske fixierte. Er nahm das Tuch von Matteo ab und sah, daß er übel zugerichtet war. Das Messer war ihm quer übers Gesicht, über Bauch und Brust gezogen worden, die Wunde in der Brust war so tief, daß sie Luft zog. Carlo ließ ihn einen Augenblick allein, rannte zur Straßenecke und schaute in beide Richtungen. Dann kehrte er zu seinem Bruder zurück. Als Sirenengeheul näher kam und ein Blitzlichtgewitter auf der Piazza Signoria losbrach, schloß Dr. Hannibal Lecter gerade seine Manschettenknöpfe und schlenderte auf eine gelateria auf der nahegelegenen Piazza de Guidici zu. Motorräder und motorinos standen aufgereiht am Bordstein. Er näherte sich einem jungen Mann in Motorradkluft, der gerade eine große Ducati antrat. »Junger Mann, helfen Sie einem Verzweifelten«, sagte er mit einem jämmerlichen Lächeln. »Wenn ich nicht in zehn Minuten auf der Piazza Bellosguardo bin, wird mich meine Frau umbringen«, sagte er und hielt dem jungen Mann eine Fünfzigtausend-Lire-Note unter die Nase. »So viel ist mir mein Leben wert.« »Das ist alles, ich soll Sie fahren?« fragte der junge Mann. Dr. Lecter hob entwaffnend die Hände. »Ja, nicht mehr und nicht weniger.« Das schnelle Motorrad pflügte durch den Verkehr auf dem Lungarno. Dr. Lecter kauerte hinter dem Fahrer, auf dem Kopf dessen zweiten Motorradhelm, der nach Haarspray und Parfüm roch. Der Fahrer kannte sich gut aus. Er bog von der Via de’ Serragli ab, fuhr in Richtung Piazza Tasso und kam aus der Via Villani in die winzige Gasse entlang der Kirche von San Francesco di Paola, die in die sich nach Bellosguardo emporschlängelnde Straße einmündete. Bellosguardo war ein vornehmes Wohnviertel auf den Hügeln südlich der Stadt, von denen man ganz Florenz überblicken konnte. Das Röhren der schweren Ducati hallte von den Steinmauern wider, die die Straße auf beiden Seiten einfaßten. Dr. Lecter mochte den Klang der Maschine, der ihn an reißendes Leinen erinnerte. Er legte sich in die Kurven und versuchte, mit dem Geruch von Haarspray und billigem Parfüm unter seinem Helm fertig zu werden. Er ließ sich von dem jungen Mann vor dem Eingang zur Piazza Bellosguardo unweit des Hauses vom Grafen Montauto absetzen, wo einstmals Nathaniel Hawthorne gelebt hatte. Der Fahrer stopfte sich seinen Lohn in die Brusttasche seiner Ledermontur. Sekunden später war das Rücklicht des Motorrads in der sich abwärts windenden Straße verschwunden. Dr. Lecter, von der Fahrt erfrischt, ging noch ungefähr vierzig Meter bis zu seinem schwarzen Jaguar. Er holte die Schlüssel hinter der Stoßstange hervor und startete den Wagen. Er hatte eine leichte
Hautabschürfung am Handballen, wo ihm der Handschuh hochgerutscht war, als er das Leintuch über Matteo geworfen hatte und aus dem Fenster des ersten Stocks auf ihn gesprungen war. Er verrieb ein wenig Cicatrine, eine antibakterielle Salbe aus Italien, auf der Stelle, was ihm sofort Linderung verschaffte. Während der Motor warmlief, ging Dr. Lecter seine Musikkassetten durch. Seine Wahl fiel auf Scarlatti.

KAPITEL 37
    Das Rettungsflugzeug, eine Propellermaschine, erhob sich über die roten Ziegeldächer und legte sich in eine Südwestkurve in Richtung Sardinien. Der Schiefe Turm von Pisa schob sich an der Tragfläche vorbei, als der Pilot die Maschine steiler stellte, als er das getan hätte, wäre ein lebender Patient an Bord gewesen. Auf der Bahre, die eigentlich für Dr. Hannibal Lecter vorgesehen war, lag der erkaltete Körper von Matteo Deogracias. Sein älterer Bruder Carlo saß mit vor Blut starrenden Kleidern neben dem Leichnam. Carlo Deogracias forderte den Krankenpfleger auf, Kopfhörer aufzusetzen und laut Musik zu hören, während er über sein Handy mit Las Vegas telefonierte, wo eine anonyme Relaisstation und eine Chiffriermaschine sein Gespräch an die Küste von Maryland übertrug ... Für Mason Verger unterscheiden sich Tag und Nacht nicht sonderlich. Er schlief gerade, als das Gespräch hereinkam. Sogar die Lichter im Aquarium waren gelöscht. Masons Kopf lag zur Seite gedreht auf dem Kissen, sein eines Auge war

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