Hannibal
sie vor dem Gebäude eintrifft. Sie wird Ihnen das Auto überlassen. Ich habe einen Polizeiausweis. Sie kann über die Piazza direkt vor den Eingang fahren. Sie tut, was ich ihr sage. Das Auto qualmt, Mann, du kannst es von hier oben aus laufen sehen. Die Schlüssel werden stecken.« Dr. Lecter kippte Pazzi nach vorn gegen das Balkongeländer. Das Geländer reichte ihm bis zu den Oberschenkeln. Pazzi konnte auf die Piazza hinunterschauen und durch die Flutlichter den Ort erkennen, wo man Savonarola verbrannt und er sich geschworen hatte, Dr. Lecter an Mason Verger zu verschachern. Er blickte zu den tiefhängenden Wolken hoch, die von den Flutlichtern eingefärbt wurden, und hoffte mehr als alles andere, daß Gott ihn sehen konnte. Abwärts war eine scheußliche Richtung. Er konnte nicht anders, er mußte in die Tiefe starren, wo der Tod auf ihn lauerte. Gegen jede Vernunft hoffte er, die Scheinwerferkegel der Flutlichter gäben der Luft einen gewissen Halt, so daß er sich vielleicht an ihnen festhalten könnte. Die gummierte orangene Kabelummantelung fühlte sich kalt um seinen Hals an. Dr. Lecter stand sehr nahe bei ihm. »Arrivederci, Commendatore.« Die Messerklinge blitzte vor Pazzi auf. Ein zweiter Streich löste die Verbindung zur Sackkarre, und schon kippte er nach vorn über das Geländer. Das orangefarbene Kabel schnalzte hinter ihm her. Den Mund zum Schrei geöffnet, sah er den Erdboden rasend schnell auf sich zukommen. Oben schlidderte die Poliermaschine über den Steinboden auf die Fensterfront zu und kam mit einem lauten Krachen gegen das Geländer abrupt zum Stehen. Ein Ruck riß Pazzis Kopf nach oben und brach ihm den Halswirbel. Dann glitten ihm die Gedärme aus der Bauchhöhle. Pazzi und seine Anhängsel drehten und pendelten vor der vom Flutlicht erhellten rauhen Mauer des Palazzo. Er zuckte in posthumen Spasmen, würgte aber nicht. Tot. Sein Schatten zeichnete sich riesig an der Wand des Palazzo ab, als er, mit heraushängenden Eingeweiden und von den Flutlichtern angestrahlt, hin und her schwang. Das Gedärm pendelte in kürzeren und schnelleren Bögen unter ihm. Seine Männlichkeit stand aus der zerrissenen Hose. Der Tod hatte ihm eine letzte Erektion beschert. Carlo stürmte aus einem Hauseingang, Matteo neben sich, über die Piazza auf den Eingang des Palazzo zu. Er stieß im Weg stehende Touristen rüde beiseite. Zwei von ihnen hielten ihre Videokameras auf den Palazzo gerichtet. »Das muß ein special effect sein«, sagte jemand auf englisch, als Carlo an ihm vorbeirannte. »Matteo, übernimm du den Hintereingang. Wenn er herauskommt, leg ihn um, schlitz ihn einfach auf«, sagte Carlo, der im Laufen an seinem Handy nestelte. Hinein in den Palazzo, die Treppe hoch in den ersten Stock, dann in den zweiten. Die Türflügel zum Liliensaal waren angelehnt. Drinnen richtete er seine Waffe auf die an die Wand projizierte Figur, rannte auf den Balkon hinaus, durchsuchte hastig Machiavellis Arbeitszimmer. Über das Handy erreichte er Piero und Tommaso, die im Lieferwagen vor dem Museum warteten. »Fahrt zu seinem Haus und sichert Vorder- und Rückseite. Legt ihn um und schlitzt ihn auf.« Carlo wählte erneut. »Matteo?« Matteos Handy summte in seiner Brusttasche, als er gerade schweratmend vor dem verschlossenen Hintereingang des Palazzo stand. Er suchte das Dach und die dunklen Fenster ab, prüfte, die Hand an der Pistole in seinem Hosenbund, ob die Tür auch tatsächlich verschlossen war. Er klappte das Handy mit einer Handbewegung auf. »Pronto!« »Was siehst du?« »Die Tür ist verschlossen.« »Das Dach?« Matteo schaute wieder nach oben, aber nicht rechtzeitig genug, um zu sehen, daß die Fensterläden über ihm aufschwangen. Carlo hörte ein Rascheln und einen Schrei übers Handy und rannte los, die Stufen hinunter, fiel auf dem Treppenabsatz hin, rappelte sich wieder auf und rannte weiter, am Pförtner vorbei, der jetzt draußen stand, hinter den Statuen entlang, die den Eingang flankierten, bog um die Ecke und hastete zur Rückseite des Palazzo, wo er einige Liebespaare aufscheuchte. Hier hinten war es dunkel. Er rannte. Das Handy quiekte wie ein kleines Tier in seiner Hand, während er rannte. Eine Gestalt taumelte ganz in Weiß vor ihm über die Straße und lief blindlings einem motorino in den Weg. Der Zusammenstoß mit dem Roller ließ sie zu Boden gehen. Die Gestalt richtete sich wieder auf und krachte in das Schaufenster eines Geschäfts, das auf der anderen Seite des schmalen
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