Hans Heinz Ewers
begreifen.
Und er sah, in dieser Nacht, wie Stephe sah – empfand, wie er empfand.
Nun verstand er gut, wie Stephe das meinte, wenn er sagte: „Sie gab mir die Korallenkette.“ Oder: „Sie bat mich –“ Oder: „Sie sagte –“
Es war schon so: Diese Toten sprachen zu Stephe. Und Stephe lauschte. Und tat, was sie verlangten.
Was machte es, daß er, Olieslagers, auch sah, daß diese Wahrheit eine Lüge war? Zu gleicher Zeit das sah – wie im Gangarausch. Eine Lüge nur für ihn – und dennoch die einzige Wahrheit für Stephe.
Und – vielleicht – die letzte. Denn nun geschah es, daß Stephe untreu wurde.
Es geschah das Lächerlichste, das Banalste, das Allerdümmste von allem: Stephe verliebte sich. Verliebte sich, recht und schlecht, wie ein Kaufmannslehrling oder ein Soldatenjunge, in ein lebendiges, gesundes, ziemlich hübsches Mädchen.
Gladys Paschitsch hieß sie. Ein Ägypterkind – aber eines von Eltern, die klug waren und darum bald sehr reich. Ihr Vater hatte schon ein hübsches Vermögen vor dem Kriege und hatte das während dieser Jahre verhundertfacht. Pesce Cane nannten ihn die italienischen Ägypter, und die andern hatten wohl ihre anderen Namen dafür. Die Amerikaner schalten ihn „Profiteer“, und wenn noch Deutsche in Andernach gelebt hätten, hätten sie ihn vermutlich „Schieber“ genannt. Seine Dollarnoten waren sehr fettig und schmutzig von dem Arbeitsschweiß und von Blut und Tränen seiner besonderen Landsleute wie aller andern Ägypter – aber sie waren darum nicht weniger vollwertig. Längst war die Paschitschfamilie sehr amerikanisch – darum hieß die einzige Tochter Gladys, und darum besuchte sie auch eine beliebte Damenhochschule in Neu-England.
Stephe hatte sie schon vor zwei Jahren gesehen, als sie noch auf die Schule ging. Nun war sie in den Ferien zu Hause.
Ein Flieger war abgestürzt; es gab eine kleine Feier in der Kapelle. Viele patriotische Reden für den Helden, der eigentlich noch kein Held war, aber doch einer hätte werden können und darum sicher all die Lorbeerkränze reichlich verdient hatte. Auch Gladys Paschitsch war dabei und überreichte einen großen Kranz mit riesigen Schleifen von einem Frauenklub.
Da sah Stephe sie wieder, und da verliebte er sich.
Nicht, daß er nun etwa gehandelt hätte, wie ein anderer Verliebter es vielleicht getan. Er tat nichts anderes, als was er immer tat. Er sagte seinem Freunde: „Sie wird kommen.“ Und darauf wartete er.
Aber – und das war es – er dachte nur an sie. Und vergaß die andern. Vernachlässigte sie, kümmerte sich nicht mehr um sie. Er scharrte ihre Gräber zu wie leere Gruben, warf zur Nachtzeit kaum einen Blick in die stille Kapelle. Und das Beinhaus blieb leer.
Gladys Paschitsch fuhr zurück zu ihrem College, kam zu Weihnachten für eine Woche nach Hause und dann wieder zu Ostern.
Und Stephe blieb ihr treu all die Zeit über. „Sie wird kommen!“ sagte er.
Zur Osterzeit kam Gladys einige Male auf den Friedhof. Es waren mittlerweile eine ganze Reihe Rekruten aus dem benachbarten Übungslager gestorben – für diese Gräber sorgte der Frauenklub. So kam es, daß Stephe sie sah.
Es ist sicher, daß Gladys Paschitsch dasselbe Angstgefühl empfand, das alle Frauen überfiel, wenn Stephe in der Nähe war. Aber sie war ein „Collegegirl“, selbstbewußt, unabhängig und – gebildet. Und sie wußte, daß das – dummes Zeug war. So ging sie einmal festen Schrittes auf Stephe zu und sprach ihn an. Jan Olieslagers sah, wie sie sich zwang, ruhig mit ihm zu sprechen – völlig gleichgültige Fragen über die Soldatengräber an ihn richtete. Stephe blieb still, fast unterwürfig. Aber dennoch zitterten die Hände der Studentin, dennoch seufzte sie befreit auf, als sie nach wenigen Minuten „Guten Abend“ sagte.
„Was hat sie dir gesagt?“ fragte der Vlame.
Stephe murmelte: „Sie wird kommen –“
Aber es schien nicht, als ob Gladys Paschitsch sich damit beeilen wollte. Sie blieb sehr gesund, und ihr Schritt war fest und leicht.
– Jan Olieslagers war unzufrieden. Stephe langweilte ihn. Und am Ende war diese Geschichte mit Stephe noch das einzige, das ein klein wenig Abwechslung gebracht hatte in diese Rattenfalle, in der er steckte. Er versuchte einmal über das andere, Stephes lächerliche Treue zu erschüttern, erzählte ihm Wundergeschichten, wie schön die tote Frau sei, die gerade in der Kapelle lag –
Stephe zuckte die Achseln. Was ging ihn das an?
Einmal kam Jan
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