Hans Heinz Ewers
der Vlame auf alle Reinlichkeit legte, und sorgte dafür, daß alles stets blitzsauber war. Das ging soweit, daß Stephe, der durch zwanzig lange Jahre um Schmutz oder Nichtschmutz sich nie gekümmert hatte, nun auch seinen eigenen Leib wusch und rein hielt – nicht aus eigenem Instinkt, sondern nur dem Freunde zuliebe.
Sie lebten recht miteinander in dieser Zeit. Und allein blieb Stephe nur in solchen Nächten – Dann sagte er dem Freunde: „Sie wird zu mir kommen, heute nacht!“
Der Vlame fragte: „Welche Blumen will sie?“
„Seerosen“, sagte Stephe, „aus dem kleinen Teiche.“ – Oder auch: „Flieder, viel Flieder!“ Sie gingen zusammen aus, sie zu holen. Sie trugen sie in das Beinhaus, breiteten die alten Säcke auf den Steinboden und streuten die Blumen darüber.
Dann ging Olieslagers in das Zimmer. Legte sich zu Bett, versuchte zu schlafen. Las. Rauchte, spielte eine Schachpartie mit sich selbst. Lauschte auch – gegen seinen Willen –
Einige Male versuchte er das. Aber es ging nicht – ging gar nicht.
Dann lief er in einer solchen Nacht umher, durch den Friedhof und über die Wiesen. Und ein andermal trug er sein Bett hinaus, stellte es in der kleinen Geißblattlaube auf, legte sich dort hin. Aber er schlief nicht. Immer glaubte er die Laute zu hören, die aus dem Beinhause kamen. Glaubte zu sehn –
Einmal überlegte er: ,Es ist nur, weil ich es nicht sah – so reizt es meine Einbildung. Ich habe schlimmere Dinge gesehn, als das – und es hat mir nichts ausgemacht. Ich werde hingehn, werde zuschaun – dann werden meine Nerven sich beruhigen.’
Er eilte zum Beinhause. Er griff die Klinke und hielt sie in der Hand. Öffnete nicht. Ging vorbei – hörte Stephes Stimme – kam zurück. Fünfmal – sechsmal –
Fluchte endlich, öffnete die Tür kräftig genug. Die kleine Birne erhellte den Raum. Er sah eine Gestalt auf den Säcken liegen, zwischen gelben Rosen. Und Stephe kniete vor ihr.
Er rief ihn an. Aber Stephe hörte ihn so wenig, wie das Öffnen der Tür.
Er trat näher heran, nun sah er gut das Gesicht des Freundes.
Stephe starrte auf die Tote – angespannt waren alle seine Züge. Er krampfte die Hände zusammen – es war sichtlich, daß er angestrengt lauschte.
Dann kam ein leises „Ja“ von seinen Lippen und noch einmal „Ja“ –
Ah, die Tote erzählte ihm – und Stephe lauschte.
Eine Viertelstunde – eine halbe Stunde – Jan Olieslagers lehnte an der Wand, zählte leise, um sich einen Begriff von der Zeit zu machen. Aber es ging nicht.
„Ja“, flüsterte Stephe. – Und einmal hörte er: „Liebling.“
Dann kam ein Zucken in Stephes Körper. Er bog sich vor und zurück. Laute kamen von seinen Lippen, wirr, abgebrochen, unverständlich. Jan Olieslagers biß die Zähne zusammen, preßte die Hände, schloß die Augen, um alle Nervenkraft zu sammeln.
Etwas ging da vor, und er mußte finden, was es war.
Wieder klang es „Ja!“ Lauter als sonst.
Der Vlame blickte auf. Da sah er, wie die Tote sich aufsetzte, beide Arme Stephe entgegenstreckte. Aber er sah – zu gleicher Zeit –, daß sie still und steif auf den Säcken lag, wie zuvor. Daß sie sich nicht regte und sehr tot war.
Und bewegte sich dennoch und lebte dennoch und bot beide Arme dem Geliebten und die nackte Brust –
Jan Olieslagers griff sich mit beiden Händen an die Schläfen. Er sah das eine und zugleich das andere.
Beides sah er, beides –
Rückwärts ging er, der Türe zu, langsam, Schritt um Schritt –
Er sah, wie Stephe die Arme hob, ausbreitete, wie es die Tote tat, genauso. Wie er sich vorbeugte, wie sie, den Kopf langsam vorschob – wie sie es tat –
Sie – die dennoch unbeweglich, starr und steif auf dem Boden lag –
Dann schrie Stephe auf. Griff mit beiden Händen nach ihr, riß sie an sich, stürzte sich über sie –
Jan Olieslagers lief über die Wege, kam zum Tor, kletterte hinüber. Blieb stehn, schöpfte Atem. Ging dann, mit langen Schritten, rings um den Friedhof.
Umkreiste ihn, dreimal und noch einmal. ,Wie ein Wachhund’, dachte er.
Er überlegte das, was er gesehn; fand sehr bald die Erklärung.
Was er sah, Dr. Jan Olieslagers, das war das, was war. War die Tote, die tot dalag. Aber was er zugleich sah: die Tote, die sich aufrichtete, die die Arme öffnete und Stephe hinzog zu sich – das erblickte er nicht mit seinen Augen.
All diese Wochen über hatte er versucht, sich hineinzudenken in Stephes Seele, zu fühlen wie er, um so das Wunder zu
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