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Hans Heinz Ewers

Hans Heinz Ewers

Titel: Hans Heinz Ewers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geschichten des Grauens
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dauerte es sehr lange. Stephe stand mit seinem Freunde in der Tür der Kapelle, wartete. Plötzlich wandte er sich: „Ich muß Blumen schneiden“, sagte er.
    Jan Olieslagers fragte: „Hat sie dir’s gesagt?“ Stephe nickte: „Ja. – Gladiolen. Viele Gladiolen.“
    Er kam zurück, beide Hände voll von Blumen, verbarg sie vor der Tür unter einer Steinbank. „Sind sie noch nicht fertig?“ fragte er.
    Aber noch jemand sprach und noch jemand – ach, diese Feierlichkeit schien nie aufzuhören! Endlich kam der Geistliche heraus; er stieg mit den Eltern in den ersten Wagen. Unendlich langsam kamen dann die Leute, fuhren fort. Andere wieder mußten lange warten, bis die Wagen zurückkamen von der Stadt, sie abzuholen. Stephe war so aufgeregt, daß er nicht eine Sekunde ruhig stehen konnte, unaufhörlich vor sich hinredete. Sehr auffällig benahm er sich.
    „Geh auf deine Bank, Stephe!“ riet ihm der Vlame. „Ich warte hier. Wenn der letzte fort ist, ruf ich dich.“
    Jan Olieslagers setzte sich auf eine andere Bank gleich neben das Kirchhofstor, ging auch zuweilen den Weg zurück zur Kapelle, grade wie die letzten Leidtragenden taten. Er sah die Mitglieder des Frauenklubs einsteigen, dann sah er ein paar Soldaten einen starken gelben Kasten in ein Auto tragen und mit ihm davonfahren. Auch den Direktor der chemischen Fabrik sah er; der kam dicht an ihm vorbei, erkannte ihn nicht.
    Da trat der alte Pawlaczek auf ihn zu. „Sie sind alle fort“, brummte er. „Schließ das Tor, Mike.“
    Jan Olieslagers sprang über die Gräber. „Die Kapelle ist leer, Stephe“, rief er. „Komm – sie wartet.“
    Stephe erhob sich, taumelnd. „Ich will –“, begann er.
    „Was willst du?“ drängte der Vlame.
    „Sie will es, sie –“, stotterte Stephe.
    „Was will sie denn?“
    Und Stephe sagte: „Nicht in der Kapelle – nicht im Beinhaus. In – in unserm Zimmer –“ Das war Olieslagers sehr wenig sympathisch. Er war müde genug, wollte schlafen ein paar Stunden – wenigstens versuchen zu schlafen. Aber die Augen Stephes bettelten und flehten wie Kinderaugen. Er klopfte ihm auf die Schulter: „Gut, Stephe, gut! Nur – eil dich, sieh, schon dämmert’s! – Ich nehme deine Blumen mit hinüber.“
    „Danke, Herr, danke!“ sagte Stephe.
    Stephe lief in die Kapelle; der Vlame nahm die Gladiolen. Er trug sie hinüber, streute sie über Stephes Bett und über den Boden hin. Sein Bett rückte er dicht an die Wand.
    Dann kam Stephe, zitternd am ganzen Leibe – mit leeren Armen.
    „Was ist geschehn?“ fragte Olieslagers.
    Und Stephe flüsterte: „Der Sarg ist leer!“
    Einen Augenblick besann sich der Vlame. Ah, das war es, was die Soldaten hinausgetragen hatten!
    Der schöne große silberbeschlagene Sarg war nur ein Schaustück – und die Kiste darin barg die Tote! Sie sollte vermutlich irgendwo anders beerdigt werden –
    Er sagte es Stephe; der verstand ihn nicht gleich. Er mußte es zweimal wiederholen, bis Stephe ihn begriff.
    „Wo denn? Wo?“ fragte er. „Wo soll sie beerdigt werden?“
    „Wie soll ich das wissen?“ antwortete sein Freund.
    Stephe stammelte: „Ich – ich –“ Dann ging er zur Tür.
    „Wo willst du hin?“ fragte der Vlame.
    Stephe sagte: „Sie haben sie geraubt. Ich muß sie finden.“ Und ging.
    Jan Olieslagers rief ihm nach, aber der andere hörte ihn nicht. Er überlegte: Jetzt wird er eine gewaltige Dummheit machen. Ich muß ihn schützen – er ist mein Freund.’
    Aber was sollte er tun? Er zog sich aus, wusch sich; zog sich wieder an. Steckte ein paar Apfelsinen in die Taschen, setzte die Mütze auf, ging hinaus. Das Friedhofstor war geschlossen, er selbst hatte den Schlüssel in der Tasche – so war Stephe hinübergeklettert. Er schloß bedächtig auf und hinter sich zu. Schlug den Weg zur Stadt ein – dort mußte Stephe sein.
    Er schälte seine Orangen und aß sie. Dachte nach. Wenn Gladys Paschitsch irgendwo anders beerdigt werden sollte, so konnte es sicher nicht in Andernach sein. Dieser Friedhof war der einzige der kleinen Stadt; es gab keine andere Möglichkeit. Dann aber – ja, dann mußten sie den Frühzug benutzen, den, der hinauf nach Chicago fuhr. Er kannte gut jeden einzelnen der wenigen Züge, immer bereit, bei einer drohenden Entdeckung mit dem nächsten abzufahren. Fünf Uhr zweiunddreißig fuhr der Schnellzug.
    Er sah auf die Uhr – er mußte sich eilen. Schritt schneller, lief manchmal ein Stückchen – blickte scharf über den geraden Weg, ob er

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