Hans Heinz Ewers
Gendarm schneuzte sich und brannte seine Pfeife an. Er hob das Glas an die Lippen, trank und schnalzte lobend mit der Zunge.
Dann begann er. Er erzählte laut, hastig, in zerhackten Sätzen. Immer wandte er sich schreiend an den Gastwirt: „War’s nicht so, Raimondi?“ Der nickte stumm oder brummte ein „Ja!“ zwischen den Zähnen.
Aloys Drenker sagte: „Das sind wohl dreißig Jahre her. Wir standen in Bozen alle drei und waren die besten Freunde von der Welt. Ussolo – der war auch aus Val di Scodra; dort, wo es zur Kreuzplatte hinaufgeht, stand seiner Leute Haus. Nun ist das längst verfallen – der arme Ussolo liegt auf dem Kirchhof, und seine Verwandten sind alle drüben in Argentinien. Nichts ist mehr da von der ganzen Sippe! – Also, wir drei waren Kaiserjäger in Bozen; Ussolo und ich waren Unteroffiziere – aber Raimondi war gerade Feldwebel geworden. Was, Alter? – Nun gut, wenn die beiden Urlaub hatten, fuhren sie nach Hause, und da bin ich ein paarmal mit ihnen gewesen. Denn wissen Sie, ich hatte kein Heim, mich hat meine selige Mutter im Straßengraben gefunden und ist an dem Schreck schnell draufgegangen. So wurde ich herumgestoßen und geschlagen bei fremden Leuten, und wohl wurde mir erst, als ich in der Kompagnie war. Die Kaiserjäger – das war meine Familie – und eine fesche dazu, nicht, Raimondi? Hol’s der Teufel, eine bessere Truppe gibt’s auf der ganzen Welt nimmer! Also gut, ich fuhr ein paarmal mit meinen Freunden hinunter nach Val di Scodra – einmal mit Raimondi und zweimal mit Ussolo. Na, Sie können sich denken, wie die Leute schauten, wenn wir ankamen! Das ganze Dorf war vernarrt in uns. Und wir drei – alle drei – waren in die Sibylla vernarrt, und jeder tat sein Bestes, ihr zu gefallen.
Aber keiner von uns sagte etwas, weder den andern noch dem Mädchen. Jeder überlegte, und jeder faßte seinen Plan, aber heraus kam keiner damit. Wir schrieben ihr alle drei, und sie schrieb uns auch – aber, wissen Sie, immer zusammen an alle drei. Da, eines Winterabends, als wir zusammen in der Kantine beim Gossensasser sitzen, sagt der Ussolo, daß er seinen Abschied nehmen wolle und nicht weiter kapitulieren. Ich denke, der Schlag rührt mich, und ich frag’ ihn, ob ihn der Teufel stäche. Da kommt’s heraus! Er sagt, daß er die Sibylla liebe und sie heiraten und mit ihr leben und sein Land bebauen wolle in Val di Scodra. Er habe seiner Mutter schon geschrieben – denn der Vater war tot –, und die sei einverstanden, daß er den Hof übernehme. Da fuhr der Raimondi los! Brauchst dich nicht zu schämen, Alter, es war doch so! – Denn wissen Sie, damals kannte er die schöne Maria noch nicht, des Brixener Schulmeisters Tochter, die dann später seine Frau und Teresas Mutter wurde. Damals war sein Gedanke nur Sibylla und immer wieder Sibylla! – Na, war’s nicht so, Alter? – Also, er fuhr los auf den Ussolo und sagte, daß er sich nicht unterstehen sollte, an das Mädchen zu denken. Er müsse sie haben und niemand sonst! Und er sei der ältere, und er sei Feldwebel – da konnte ich auch nicht mehr an mich halten. Älter oder jünger, Feldwebel oder nicht, das sei ganz gleichgültig, sagte ich. Und ich liebe die Sibylla auch, und ich wolle sie haben und kümmere mich den Teufel um die wälschen Fack’n. Ich schrie, und der Raimondi brüllte, und der Ussolo heulte, und ehe wir’s uns versahen, lagen wir einander in den Haaren und prügelten darauf los, daß es eine Freude war. Ein Leutnant kam dazwischen und störte den Spaß; dann hatten wir im Mittelarrest alle drei genug Zeit, über unsere Liebe und unsere Dummheit nachzudenken. Als wir herauskamen, war unsere Aufregung merklich abgekühlt, und wir sahen nun ein, daß es herzlich dumm sei, uns wegen des Mädchens zu zanken, das doch nur einer haben konnte. Wir beschlossen also, der Sibylla selbst die Wahl zu überlassen und zu dem Zweck zum nächsten Septemberurlaub alle drei nach Val di Scodra zu fahren. Inzwischen war abgemacht, daß keiner ihr besonders schreiben sollte; so schrieben wir immer zusammen Briefe und schickten ihr auch zu Weihnachten und zu Ostern gemeinschaftlich ein Geschenk. Na, es war ja nicht viel, ein seidenes Kopftuch und eine silberne Schnalle – aber die Sibylla hat sie bis heute aufbewahrt und die Briefe auch. Also gut, der Frühling kam und der Sommer, und wir fühlten uns alle nicht recht wohl. Jeder war mißtrauisch auf die andern beiden, und alle paar Tage mußte einer dem andern
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