Hans Heinz Ewers
riß mich auf und schrie, daß jetzt keine Zeit sei zu schwatzen. Er nahm sein Taschenmesser, steckte die schärfste Klinge in die Flamme der Laterne und befahl mir, meines zu nehmen und ein gleiches zu tun. Als sein Messer glühend heiß war, schnitt er in die Wunde und vergrößerte sie. Dann nahm er mein Messer, und ich mußte das andere in die Flamme halten; so wechselte er immer und schnitt und brannte in die Wunde. Der arme Ussolo litt entsetzlich, er versuchte seinen Schmerz zu verbeißen wie ein guter Soldat; es war jämmerlich, wie wir ihn quälten – so völlig nutzlos. Die Sibylla kniete vor ihm und hielt seinen Kopf, und er stöhnte und knirschte mit den Zähnen.
Endlich war der Feldwebel fertig. Wir sahen ein, daß wir nicht einen Schritt mit ihm weiter konnten, da war es das beste, daß einer von uns nach Cimego lief, um Hilfe zu holen. Ich kannte den Weg nicht, so ging Raimondi; er hoffte, beim Pfarrer Ätzkali und Salmiakgeist zu bekommen. Er nahm seine Laterne und schritt rasch aus, nach einer kurzen Weile war er verschwunden.
Die Stelle, wo wir lagen, war mißlich genug. Rechts stieg die Felswand auf – links fiel die Schlucht ab, nicht gerade steil, aber doch unbequem genug in der Dunkelheit. Der Weg dazwischen war sehr schmal. Ich rollte einen Mantel zusammen und gab ihn Ussolo als Kopfkissen, auf dem andern Mantel lag er. Über ihn breitete ich die Decke und den dritten Mantel. Aber er fror trotzdem; ein Frostschauer schüttelte ihn über den andern. Nach einer Weile begann er nach Atem zu ringen, er schnappte, und es war, als ob die Lungen nur mühsam arbeiten könnten. Er sagte nichts, nur manchmal stöhnte er leise. Die Sibylla kniete vor ihm; auch sie sprach kein Wort, ganz erstarrt schien sie zu sein. So schwatzte ich denn drauflos, sagte ihm, daß ja nun die Quälerei vorüber wäre und daß der Feldwebel bald kommen werde mit guter Hilfe. Dann wußte ich nichts Rechtes mehr und sagte dasselbe noch einmal – – ich glaube, ich habe es wohl hundertmal gesagt in dieser gottverlassenen Nacht. Aber es war ja auch ganz gleichgültig, was ich sagte, es hörte doch keiner zu von den beiden. Manchmal ließ die Atemnot nach, dann befiel sie ihn wieder; auch die Schwindelanfälle kehrten regelmäßig zurück.
Eine Stunde verrann nach der andern. Die Nacht sank, und die Nebel krochen von den Bergen. Es wurde Tag, und der kalte, feuchte Frühwind strich durch die Schlucht. Zuweilen, wenn er ruhig dalag, glaubten wir, daß es besser würde, aber bald überfiel ihn wieder ein kräftiges Zittern; auch bewußtlos war er für Augenblicke. An der Handwurzel hatte er stechende, sehr heftige Schmerzen; die Hand war entsetzlich angeschwollen, und die wunde Stelle sah tief blaurot aus. Gegen sechs Uhr morgens bekam er Krämpfe, er hob den Leib hoch und ließ ihn schwer zurückfallen. Dann riß es ihn in den Muskeln, die Finger der gesunden Hand krampften sich, und die Beine stießen nach vorne in starken Zuckungen. Wir hielten ihn mit Mühe fest, und er wurde auch wieder ruhiger; aber bald fing die Atemnot von neuem an und mit ihr der Schüttelfrost.
Es wurde acht Uhr; Raimondi mußte längst zurück sein nach meiner Schätzung. Ussolo war um diese Zeit ein wenig stiller geworden und schien zu schlummern; so dachte ich, daß es das beste sei, wenn ich aufbräche, um den Feldwebel zu suchen. Ich sprang also auf und lief den Pfad entlang, der nach Cimego führte, so schnell mich nur meine Beine tragen mochten. Nach einer Stunde etwa kam mir Raimondi entgegen, mit ihm waren der Pfarrer und drei Burschen von Cimego.
„Lebt er noch?“ schrie der Feldwebel. Ich nickte und kehrte mit ihnen um. Raimondi sah aus wie ein Wilder, seine schöne Uniform war von oben bis unten voll Schmutz; Gesicht und Hände starrten von Blut und Schweiß. Er war fehlgetreten, abgestürzt und hatte dabei seine Laterne zerschlagen. Nun hatte er im Finstern seinen Weg gesucht, sich verirrt und erst bei Tagesanbruch gemerkt, daß er in ein falsches Tal geraten war. Er mußte also wieder zurück und fand nur mit Hilfe eines Geißbuben, den er unterwegs traf, den Weg nach Cimego. Dort hatte er gleich den Pfarrer geholt, von der Messe weg, und war dann zurückgelaufen mit den Leuten. Während er mir noch erzählte, hörten wir plötzlich einen wilden, gräßlichen Schrei. Wir erkannten Sibyllas Stimme und rannten nun wie rasend weiter. Raimondi weit voraus, hinter ihm sprang der Pfarrer von Cimego, die schwarze Soutane mit beiden
Weitere Kostenlose Bücher