Hans Heinz Ewers
Händen hochhebend. Er war ein braver Mann; konnte er mit seinen Doktormitteln nicht zur rechten Zeit kommen, so hoffte er doch, als Priester nicht zu spät zu sein, um dem Sterbenden die Letzte Ölung zu geben.
Aber es war zu spät für beides. Wie wir herauskamen aus der Schlucht, sahen wir dicht vor uns einen Toten liegen. Sein Gesicht war furchtbar verzerrt, die Augen quollen ihm weit aus den Höhlen. Die rechte Hand war festgekrallt in seinen Mantel, die Beine waren hoch an den Leib gezogen. Vor ihm stand Sibylla, aufrecht, aber den Leib vornüber gebeugt – so, wie sie jetzt geht und steht. Wir gaben zuerst wenig acht auf sie, beschäftigten uns nur mit Ussolo, rieben ihn, gossen ihm Wein in die offenen Lippen und hielten ihm Äther unter die Nase. Aber wir sahen bald ein, daß alles zu spät war und daß es aus war mit ihm. Wir breiteten einen Mantel über ihn und wandten uns zu seiner Braut.
Wir fragten sie, wie er gestorben sei, sie gab uns keine Antwort. Wir drängten sie und sahen wohl, daß sie uns verstand; ihre Lippen bewegten sich, aber ihr Mund war stumm; sie hatte die Sprache verloren. Ihre Augen blieben trocken, keine Träne fiel, und nicht einmal mehr in all den Jahren – selbst an seinem Grabe nicht – hat sie weinen können. Der Pfarrer nahm sie in die Arme und versuchte sie aufzurichten; es gelang ihm nicht, und er bat mich, ihm zu helfen. Alle halfen wir – aber sie blieb steif wie sie war – den Oberkörper gerade nach vorne gerichtet. Wir wollten es nicht glauben, faßten sie rauh an und versuchten es mit Gewalt: Es war unmöglich.
Was da vorging in diesen letzten zwei Stunden, die Ussolo lebte, das weiß ich bis heute nicht. Ich habe später oft die Sibylla danach gefragt, bat sie, sie möchte es mir aufschreiben.
Aber sie schlug die Hände vor das Gesicht, schauderte und schüttelte den Kopf – so gab ich es endlich auf. Schrecklich muß es gewesen sein – das las man auf ihrem Gesicht! Ihre Züge waren verzerrt und starr, es war, als habe sie in die offene Hölle gesehen. Und dieser Schreckensausdruck wich nicht, er blieb; erst mit den Jahren, als ihre Haut runzlig und braun wurde, als sie alterte, weit vor ihrer Zeit, ist der Ausdruck allmählich geschwunden.
Aber der furchtbare Krampf, der ihren Körper brach, gab sich nicht, noch fand sie jemals die Sprache wieder. – Wir machten Bahren und trugen sie und Ussolo nach Cimego – dort liegt er begraben.
Das ist die Geschichte von der schönen Sibylla und ihrem armen Bräutigam.“
Der Gendarm schnaufte und trank drei große Gläser Wein, um seine Rührung zu ersticken. Frank Braun fragte: „Und machte man keinen Versuch, sie zu heilen?“
„Keinen Versuch?“ Drenker lachte. „Wir haben alles getan, was wir konnten, Raimondi und ich! – Als wir sie zurücktrugen in ihr Heimatdorf, war ihr Alter betrunken, wie gewöhnlich. Er schrie und schimpfte und hätte sie am liebsten geschlagen in seiner blinden Wut. Da nahm sie Ussolos Mutter auf. Später fuhren wir sie zur Stadt; aber der Arzt sagte, daß er nicht helfen könnte, sie müßte nach Innsbruck – da lag sie Jahr und Tag im Spital. Man quälte sie gehörig mit allen möglichen Mitteln und experimentierte so an ihr herum. Aber es war nichts zu machen, und endlich schickte man sie wieder nach Hause – krumm und steif, wie sie war. – Inzwischen war der Vater gestorben – ertrunken im See, als er wieder einmal völlig besoffen war; ihr Erbteil bestand aus Schulden. Sie wohnte dann wieder bei Ussolos Mutter und haust noch jetzt in der zerfallenen Hütte, obwohl die Alte auch schon lange tot ist. – Sie braucht ja nicht viel, und die paar Kreuzer bettelt sie auf der Landstraße zusammen an den Posttagen. – Sie ist eine krumme, alte, häßliche Bettlerin geworden, aber solange Aloys Drenker lebt, wird er gut zu ihr sein.“
Der Spielkasten
An diesem Abend wartete ich lange genug auf Edgard Widerhold. Ich lag im Longchair, der Boy bewegte hinter mir langsam den Fächer. Der Alte hat indische Boys, die ihm gefolgt sind hierher vor mancher Zeit. Und deren Söhne und Enkel. Seine Boys sind gut erzogen; sie wissen, wie man uns bedienen soll.
„Geh, Dewla, sag deinem Herrn, daß ich warte.“
„Atja, Sahib.“ Lautlos glitt er weg. Ich lag auf der Terrasse, träumte hinaus auf den Hellen Strom. Seit einer Stunde waren die wochenalten Wolken zerflossen, seit einer Stunde fiel kein lauer Regen mehr. Und die Abendsonne warf breite Streifen in die
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