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Hans Heinz Ewers

Hans Heinz Ewers

Titel: Hans Heinz Ewers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geschichten des Grauens
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wieder auf, und wir gingen weiter; diesmal schritt er hinter Raimondi, und ich war der letzte.
    Noch keine fünf Minuten waren vergangen, als Ussolo zähneklappernd stehenblieb; er zitterte vor Frost und bat Raimondi, ihm seinen Mantel zu leihen. Er zog den Mantel an und legte noch die Decke, die für Sibylla bestimmt war, über die Schultern, aber es fror ihn immer noch. Ich rief ihm zu, tüchtig auszuschreiten, und das tat er denn auch. Nach einer Weile sah ich, wie er sich mit der Hand an den Felsen stützte, es war, als ob er betrunken wäre. Aber er sagte nichts, und so schwieg ich auch, um seine Braut nicht zu erschrecken. Das ging so eine Zeitlang, dann faßte ihn wieder ein Schwindel; er taumelte nach vorne über und wäre lang hingeschlagen, wenn Raimondi ihn nicht gestützt hätte. Er setzte den Korb nieder und hielt sich mühsam an der Felswand aufrecht.
    „Was ist dir?“ schrie die Sibylla. Er schüttelte den Kopf und versuchte zu lachen.
    „Nichts“, sagte er. „Ich weiß nicht –“
    Der Feldwebel hielt ihm die Laterne ins Gesicht. Dann griff er seine linke Hand und betrachtete sie genau von beiden Seiten. „Da, du Esel“, rief er, „natürlich hat sie dich gebissen!“ Wir drängten heran, und ich bemerkte eine ganz kleine Wunde dicht am Puls; ein Blutströpfchen kam heraus, kaum größer als ein Nadelkopf. Die Hand und das Gelenk waren geschwollen und schwollen schnell immer mehr an, fast unter unseren Augen. Raimondi, der einen Samariterkurs durchgemacht hatte, griff schnell in seine Tasche und nahm ein Tuch. Dann fiel sein Blick auf den Rucksack, er steckte das Tuch wieder ein und befahl mir, die Schnüre abzuschneiden. Wir banden die Hand ab, oberhalb der Wunde, und zogen die Schnur zu, so fest es nur gehen mochte, so daß sie ihm tief in die Haut schnitt. Inzwischen taumelte Ussolo hin und her, und wir mußten ihn platt auf den Boden legen.
    Raimondi sagte: „So, das wäre das erste. Nun müssen wir die Wunde aussaugen.“ Sofort warf sich Sibylla über ihren Bräutigam, aber Raimondi riß sie zurück. Er leuchtete ihr ins Gesicht und stieß sie gleich weg: Sie habe einen kleinen Sprung in der Lippe, da könne sie sich auch noch vergiften, sagte er. Dann zog er mich heran, hieß mich den Mund aufsperren und suchte mit seiner Laterne. „Du kannst es tun!“ rief er.
    Ich nahm also Ussolos Hand und sog aus Leibeskräften. Der Speichel lief mir zusammen, und ich spie aus zur Seite hin, es war mir, als schmeckte ich das Gift mit der Zunge. Aber es mag wohl nur eine Einbildung gewesen sein. Ich sog, bis mich Raimondi wegriß. „Jetzt muß er trinken“, sagte er. „Je mehr, je besser. Alles, was wir haben. Da bleibt das Herz in rascher Tätigkeit.“
    Er griff in den Rucksack und entkorkte die erste Flasche. Ich hörte einen leisen Schrei der Sibylla, sie hielt sich fest an meinem Arm. Sie stammelte leise: „O Madonna – Madonna!“ Und ich verstand, daß sie zur Mutter Gottes betete und sie bat, ein Wunder zu tun. Ich war so erschreckt und verwirrt, daß ich leise mit ihr betete, und ich weiß heute noch, daß ich in jenem Augenblick wirklich die Hoffnung hatte, das Wasser möchte sich wieder in Wein verwandeln. Aber leider geschehen heute keine Wunder mehr, wie auf der Hochzeit zu Kanaan!
    Ussolo setzte die Flasche an die Lippen und trank gierig aber gleich spie er alles wieder aus. „Wasser!“ stöhnte er. Raimondi trank selbst einen Schluck, schüttelte den Kopf und warf die Flasche in die Schlucht. Er glaubte wohl an einen zufälligen Irrtum und öffnete die nächste Flasche. Sibylla zitterte und wagte in ihrer Todesangst kein Wort zu sagen, und ich war auch von meiner Mitschuld so niedergedrückt, daß ich nicht eine Silbe über die Lippen brachte.
    Wieder nahm Ussolo einen Schluck, und wieder spie er ihn aus. Raimondi nahm die nächste Flasche und schlug ihr den Hals ab, sah, daß auch diese voll Wasser war, und warf sie fort. Nun faßte ich mir ein Herz und sagte, was geschehen wäre. Aber ich sagte, daß ich den schlechten Witz gemacht hätte, und sprach kein Wort von Sibylla – – noch heute bin ich froh darüber, daß ich das tat. Raimondi schrie, ich wäre ein Verbrecher; aber Ussolo sagte schwach, daß er wohl wüßte, daß ich es nicht böse gemeint hätte. Er streckte mir die andere Hand hin zum Zeichen der Vergebung, und er sagte, daß es ja nicht so schlimm wäre und daß er wohl bald wieder auf könnte. Ich redete auch und versuchte ihn zu trösten, doch Raimondi

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