Hans Heinz Ewers
betrogene Ehemann das Recht, den Räuber seiner Ehre zu strafen?“
Dieser süße Hohn war so sicher, daß ich nicht Worte fand, ihm zu antworten. Er fuhr fort, immer mit demselben freundlichen Lächeln, als erzähle er die einfachste Sache von der Welt: „Ich habe ihn also bestraft. Und da er ein Christ ist, so hielt ich es für das beste, eine christliche Todesart zu wählen; ich glaubte, das würde ihm am meisten zusagen. – War das recht?“
Diese seltsame Art zu scherzen gefiel mir gar nicht. Ich dachte nicht einen Augenblick daran, daß er die Wahrheit spräche, aber ich hatte ein unbequemes Gefühl, wünschte, daß er bald zu Ende käme mit seinem Geschwätz. Ich glaubte ihm natürlich, daß sich der Seekadett mit Ot-Chen eingelassen habe, und ich meinte, daß er mir an diesem Beispiel wieder einmal unsere europäischen Begriffe von Ehre und Moral ad absurdum führen wolle. So sagte ich nur: „Aber gewiß! Vollständig recht. Ich bin überzeugt, daß der Seekadett diese kleine Aufmerksamkeit sehr anerkannte.“
Aber Hong-Dok schüttelte fast traurig den Kopf: „Nein, das glaube ich nicht. Wenigstens hat er kein Wort davon gesagt. Nur geschrien hat er.“
„Geschrien hat er?“
„Ja“, sagte Hong-Dok mit seinem süßen melancholischen Bedauern, „er hat sehr geschrien. Viel mehr als Ot-Chen. Er hat immer gebetet zu seinem Gott, und dazwischen hat er geschrien. Viel schlimmer als ein Hund, den man schlachtet. Es war wirklich sehr unangenehm. Und deshalb mußte ich ihm den Mund zunähen lassen.“
Ich hatte übergenug von diesen Witzen, wollte ihn zum Schlusse drängen. „Ist das alles?“ unterbrach ich ihn.
„Eigentlich alles. – Ich ließ sie ergreifen und binden, dann ausziehen. Denn sein Gott war ja auch nackt, als er am Kreuze starb, nicht wahr? Dann nähte man ihnen die Lippen zu und kreuzigte sie; dann ließ ich sie in den Fluß werfen. Das ist wirklich alles.“
Ich war froh, daß er zu Ende war: „Na, und was soll das?“ Ich wartete auf eine Erklärung. Hong-Dok sah mich groß an, tat, als verstände er nicht recht, was ich wolle. Er deklamierte in einem gemachten Mitleid mit sich selbst, das er doch wieder verspottete: „Oh, es war nur die Rache des armen betrogenen Ehemannes.“
„Schon gut“, sagte ich, „schon gut! Aber nun sagen Sie mir endlich, worauf Sie hinaus wollen! Wann kommt die Pointe?“
„Die Pointe?“ Er lächelte vergnügt, als ob ihm dieses Wort ungeheuer gelegen komme. „Oh, bitte, warten Sie nur ein wenig.“ Er lehnte sich zurück in den Stuhl und schwieg. Ich fühlte nicht die geringste Lust, noch weiter in ihn zu dringen, so folgte ich seinem Beispiele; mochte er seine alberne Mordgeschichte zu Ende erzählen, wann er wollte.
So saßen wir eine halbe Stunde lang da, keiner sprach ein Wort. Drinnen im Zimmer schlug die Wanduhr sechsmal.
„Jetzt, jetzt muß sie kommen“, sagte Hong-Dok leise. Dann wandte er sich zu mir: „Wollen Sie bitte von dem Boy Ihre Gläser holen lassen?“ – Ich winkte Bana, er brachte meine Ferngläser. Aber ehe Hong-Dok noch eines ergriffen hatte, sprang er auf, lehnte sich weit über die Brüstung. Er streckte den Arm aus, nach rechts, dem Roten Flusse zu, und rief triumphierend: „Sehen Sie, sehen Sie, da kommt sie – – die Pointe!“
Ich nahm meinen Feldstecher und schaute angestrengt hindurch. Ganz, ganz oben bemerkte ich mitten im Strome ein kleines Pünktchen treiben. Es kam näher, ich sah ein kleines Floß. Und auf dem Floße zwei Menschen, zwei nackte Menschen. Ich lief unwillkürlich an das äußerste Ende der Veranda, um näher sehen zu können. Auf dem Rücken lag eine Frau, die schwarzen Haare fielen gelöst ins Wasser – ich erkannte sie, es war Ot-Chen. Und auf ihr ein Mann – sein Gesicht sah ich nicht, wohl aber die rotblonde Farbe seiner Haare – – ah, der Seekadett, der Seekadett! Lange eiserne Haken hatten Hände auf Hände, Füße auf Füße geheftet, staken tief in den Planken; dünne dunkle Blutstreifen liefen über das weiße Holz. Da sah ich, wie der Seekadett den Kopf hob, schüttelte, wild schüttelte. Gewiß, er machte mir ein Zeichen – – – sie lebten noch, lebten noch!!
Ich ließ das Glas fallen, einen Augenblick lang verlor ich die Besinnung. Aber nur einen Augenblick, dann schrie ich, brüllte ich, rief wie ein Rasender nach meinen Leuten: „Hinunter in die Boote!“ Ich rannte zurück über die Veranda – – da stand Hong-Dok, süß, liebenswürdig lächelnd. So als
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