Hans Heinz Ewers
doch viel mehr noch als die Geburt die Bildung das, was im ganzen Osten den Herrn vom Knecht unterscheidet. Er sah wohl, daß alle diese Krieger turmhoch über seinem Volke standen – aber nicht über ihm. Wenn sein Vater jeden Weißen als sich gleichstehend betrachtet hatte, so tat Hong-Dok das nicht mehr, und je näher und genauer er sie kennenlernte, um so weniger Freunde fand er, die er sich gleichstellte. Sie waren gewiß wunderbare, unüberwindliche Krieger, ein jeder einzelne mehr wert als hundert der gefürchteten Schwarzflaggen – – war das ein Ruhm? Hong-Dok verachtete das Kriegshandwerk ebensosehr wie jedes andere. Sie konnten alle lesen und schreiben – ihre Zeichen freilich, das war ihm gleichgültig –, aber da war kaum einer, der wußte, was Philosophie sei. Hong-Dok verlangte nicht, daß sie den großen Philosophen kennen sollten, aber er erwartete irgendeine fremde, andere, aber gleich tiefe Weisheit zu finden. Und er fand nichts. Diese Weißen wußten von dem Grunde aller Dinge weniger als der letzte Opiumraucher. Eines aber war es, was ihn baß erstaunte und das seiner Achtung vor ihnen einen großen Stoß versetzte: ihre Stellung zu ihrer Religion. Nicht diese selbst mißfiel ihm, der christliche Kult dünkte ihm gerade so gut wie die anderen, die er kannte. Nun sind unsere Legionäre nichts weniger als fromm, und kein pflichttreuer Pfarrer würde nur einen von ihnen zum Sakrament zulassen. Und doch manchmal, in Minuten großer Gefahr, reißt sich aus ihrer Brust irgendein zerhacktes Hilfsgebet. Das fiel Hong-Dok auf – und er fand, daß diese Leute wirklich glaubten, daß ihnen vielleicht von irgendeiner unbekannten Seite eine unmögliche Hilfe kommen könne. Nun suchte er weiter – vergaß ich, Ihnen zu sagen, daß Hong-Dok besser Französisch sprach, als ich? –, er befreundete sich mit dem braven Militärpfarrer von Fort Valmy. Und das, was er da fand, befestigte in ihm immer stärker den Glauben von seiner eigenen Überlegenheit. Ich erinnere mich noch recht gut, wie er mir eines Abends in seinem Rauchzimmer davon sprach, wie er lächelte, als er mir erzählte, daß er nun wisse, wie tatsächlich die Christen ihren Kult nähmen. Und daß selbst der Priester kein Verständnis habe für das Symbolische.
Das schlimmste war, daß er recht hatte; ich konnte ihm kein Wort erwidern. Wir Europäer glauben – oder wir glauben nicht. Aber die Christen, die den Glauben ihrer Väter wohl aufheben als ein schönes Gewand tiefer Symbole, die können Sie in Europa mit der Laterne suchen, und hier in Tonkin finden Sie ganz gewiß nicht einen einzigen. Gerade das aber war für diesen Gelehrten des Ostens das natürlichste, das allerselbstverständlichste, unerläßlich für einen Mann wirklicher Bildung. Und als er es so ganz und gar nicht fand, selbst von dem Priester nicht einmal verstanden wurde in seinen Gedanken, die ihm die einfachsten dünkten, verlor er einen großen Teil seiner bewundernden Achtung. In manchem waren ihm die Europäer überlegen – aber in Dingen, denen er kaum einen Wert beilegte. In andern wieder waren sie ihm gleich: In der großen Hauptsache aber, in der tiefsten Erkenntnis alles Lebens, standen sie tief, tief unter ihm. Und diese Verachtung ließ in den Jahren in ihm einen Haß entstehen, der langsam wuchs, je mehr die Fremden zu wirklichen Herrschern wurden in seinem Lande, je mehr sie Schritt um Schritt vordrangen, alle Macht in ihre starken Hände nahmen. Schon brauchten sie in seiner Gegend nicht mehr die vermittelnde Scheinherrschaft, die sie seinem Vater und später ihm gegeben hatten; er fühlte wohl, daß sich sein Vater geirrt hatte und daß die Rolle des alten Steinhauses am Roten Fluß für immer ausgespielt war. Ich glaube nicht, daß sich jemals deshalb eine Bitterkeit in das Gefühl dieses Philosophen senkte, der das Leben lebte wie es war; im Gegenteil mag ihm das Bewußtsein seiner eigenen Überlegenheit eine Quelle freudiger Genugtuung gewesen sein.
Die Plattform, die er sich mit den Jahren für seinen Verkehr mit den Europäern schuf, war eine sehr einfache: Er zog sich nach Möglichkeit zurück, behandelte sie aber in allem Äußern mit Überzeugung als durchaus gleichstehend. Nur in das Haus, das hinter der eckigen, gelben Stirne verschlossen war, ließ er keinen mehr hineinsehen, und wenn er es mir doch zuweilen öffnete, so geschah es aus einer Anhänglichkeit heraus, die er fast mit der Muttermilch eingesogen hatte und die mein reges Interesse
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