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Hans Heinz Ewers

Hans Heinz Ewers

Titel: Hans Heinz Ewers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geschichten des Grauens
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einen seiner Diener Kenntnis hatte. Trotzdem ließ er beide ruhig gewähren, benutzte vielmehr diese Zeit dazu, in sich die grauenhafte Art seiner Rache reifen zu lassen, die er selbst gewiß schon im ersten Augenblick beschlossen hatte.
    Weshalb aber empfand er dieselbe Handlung als bittere Kränkung von Seiten des Seekadetten, die ihm kaum ein Lächeln entlockte, als sie mein indischer Boy beging? Ich mag mich irren, aber ich glaube nach langem Suchen den verschlungenen Weg seiner Gedanken gefunden zu haben. Hong-Dok war ein König. Wir lachen, wenn wir auf Münzen und Kanonen die Buchstaben finden: D. G. Dei Gratia, und die meisten unserer europäischen Fürsten lachen nicht weniger über ihr Gottesgnadentum. Aber stellen Sie sich einen Herrscher vor, der daran glaubt, der wirklich felsenfest überzeugt ist, daß er der Auserwählte sei! Ich weiß wohl, der Vergleich stimmt nicht ganz, aber es ist eine gewisse Ähnlichkeit da. Hong-Dok glaubte natürlich nicht an einen Gott, glaubte nur an die Lehren des großen Philosophen; aber davon, daß seine Familie die auserwählte sei, himmelhoch hinausragend über alle anderen der Gegend, davon war er, und mit Recht, durchaus überzeugt. Durch unendliche Zeiten waren seine Ahnen Herrscher gewesen, unumschränkte Alleinherrscher. Ein Fürst bei uns, der nur einigermaßen vernünftig ist, weiß ganz genau, daß in seinem Lande viele Tausende von Menschen leben, die sehr viel klüger, sehr viel gebildeter sind als er. Hong-Dok und alle seine Ahnen aber wußten ebenso sicher das Gegenteil: Eine ungeheure Kluft schied sie stets von der Masse ihres Volkes. Sie allein waren Herrscher – alle anderen letzte Sklaven. Sie allein hatten Weisheit und Bildung – ihresgleichen sahen sie nur, wenn in langen Jahren einmal Gesandte kamen, von dem Nachbarreiche am Meer, oder weither von Süden aus Siam oder gar über die Berge der wilden Meos chinesische Mandarine. Wir würden sagen: Hong-Doks Ahnen waren Götter unter Menschen. Sie empfanden wohl anders: fühlten sich als Menschen unter schmutzigen Tieren. Verstehen Sie den Unterschied? Ein Hund bellt uns an – kaum wendet man den Kopf zur Seite.
    Dann kamen die Barbaren aus Norden, die Schwarzflaggen. Sie nahmen das Land und zerstörten die Stadt und manche anderen Städte ringsum. Nur vor dem Hause des Herrschers machten sie halt und krümmten keinem ein Haar, der dazu gehörte. Aus einem stillen friedlichen Land wurde eines, das immerfort widerhallte von Mord und Totschlag, aber vor dem Palaste am Roten Flusse schwieg der Lärm. Und Hong-Doks Ahnen verachteten die rauhen Banden des Nordens genauso, wie sie ihr eigenes Volk verachtet hatten; nichts füllte den ungeheueren Abgrund aus. Tiere waren es, genau wie die anderen -sie aber waren Menschen, die die Weisheit der Philosophen kannten.
    Bis ein Blitz in die Nebel des Flusses schlug. Von weltfernen Ufern kamen seltsame weiße Gesellen, und Hong-Doks Vater erkannte in freudigem Erstaunen, daß es Menschen waren. Er fühlte wohl den Unterschied zwischen sich und den Fremden, aber dieser Unterschied war verschwindend gering im Vergleich zu dem anderen, der ihn von den Leuten seines Landes trennte. Wie manche anderen Großen Tonkins empfand er sofort, daß er zu ihnen gehöre und nicht zu den anderen. Daher seine stets bereite Hilfe vom ersten Augenblicke an, die vor allem darin bestand, daß er die Franzosen unterscheiden lehrte zwischen der stillen, friedlichen Urbevölkerung und den kriegerischen Horden des Nordens. Und als sie ihn dann zum Zivilpräfekten über die Gegend ernannten, betrachtete ihn die Bevölkerung doch nicht anders, als den eigentlichen, angestammten Fürsten. Er hatte sie von dem Alp der Schwarzflaggen befreit, die Franzosen waren nur seine Werkzeuge, fremde Krieger, die er hergerufen: So galt er im Volke als Herrscher, genauso unbeschränkt wie einst seine Ahnen, von denen halb vergessene Geschichten erzählten.
    So wuchs Hong-Dok auf, der Sohn des Fürsten, der selbst herrschen sollte. Wie sein Vater sah er in den Europäern Menschen und keine dummen Tiere. Aber er hatte mehr Muße, jetzt, da das Glück des alten Palastes neu gefestigt war, sich diese Fremden näher anzusehen, die Unterschiede kennenzulernen, die zwischen ihm und ihnen und unter ihnen selbst bestanden. In steter Berührung mit der Legion ward sein Blick so sicher wie mein eigener: den Gemeinen zu erkennen, der ein Herr war, und den Offizier, der ein Knecht war trotz der goldenen Litzen. Ist

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