Hansetochter
Vresdorps Handelsnetz sehr gut, hatte oft Geschäftsreisen für seinen Herrn übernommen. Überdies könnte er einen Gehilfen gebrauchen. Andererseits war Jost ihm in der Alfstraße mit einer misstrauischen, ja beinahe feindseligen Haltung begegnet, die er sich damals wie heute nicht erklären konnte.
»Komm in den nächsten Tagen noch einmal hier vorbei, Jost. Möglicherweise habe ich einen Auftrag für dich.«
Adrian bemerkte, dass Amelius bei diesen Worten aufatmete. Es war nur richtig, dass sich ein Freund um einen anderen sorgte, und das schienen sie zu sein. Die beiden Kaufmannsgehilfen verabschiedeten sich und verließen den Kaufkeller.
Adrian wollte sich gerade erneut an seine Papiere setzen, da fiel ihm die Geschichte vom Räuber Papedöne wieder ein. Sie hatte alles, was die meisten Menschen an Erzählungen mochten: Sie war ein wenig unheimlich und blutig, aber der Gerechtigkeit wurde darin Genüge getan, und am Ende blieb ein kleines Geheimnis – wo war die junge Frau geblieben? Auch Bosse Matys schuldete ihm noch eine Geschichte. Er würde Bosse daran erinnern, bevor die Cruceborch in See stechen würde, um nach Brügge zu segeln.
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Margarete hatte sich mal wieder selbst übertroffen. Allen hatten ihre Speisen gemundet, der Kuchen zum Abschluss war das reinste Gedicht gewesen. Mechthild Diercksen konnte gar nicht genug davon bekommen. Sie aß schon das dritte Stück, während ihre Tochter noch die Krümel des ersten aufpickte.
»Wirklich, die Ratskuchenbäckerin hätte es nicht besser machen können!«, lobte die Ehefrau des Ratsmannes immer wieder.
Adrian nahm ihr Lob mit einem vorsichtigen Lächeln an. Er hatte nicht vergessen, wie sie sich ihm aufgedrängt hatte, und fand es sicherer, sich ihr gegenüber in Zurückhaltung zu üben. Merkwürdigerweise hatte sie sich heute nach seinem ›reizenden Gehilfen‹ Liv erkundigt – sie schien ein besonderes Interesse an den Männern dieses Haushaltes zu haben. Er hatte ausweichend geantwortet, dass Liv in einer Geschäftsangelegenheit unterwegs sei.
Bruno Diercksen ignorierte das Plappern seiner Frau. Er drehte sein Weinglas zwischen den Fingern, während er sagte: »Ihr habt recht gehabt, Vanderen, man braucht mich tatsächlich noch. Ich soll nach Stralsund zum nächsten Hansetag reisen. Mein Leben ist also doch noch nicht vorbei, noch nicht ganz zumindest.«
Seine Tochter lief rot an und hustete heftig. Sie wedelte mit den Fingern vor ihrem Gesicht, als wollte sie sich Luft zufächeln. Ihre Mutter klopfte ihr robust auf den Rücken, bis sie sich wieder gefangen hatte. Drudeke Diercksen tupfte die Hustentränen mit dem Ärmel ihres hellen Kleides ab und umfasste die große Hand ihres Vaters. Adrian bemerkte die Schminke, die im Stoff hängengeblieben war. Sie war nicht hässlich, diese Drudeke, wirkte aber einfach äußerst ... künstlich.
»Wie kannst du so etwas sagen, Vater! Du wirst noch Bürgermeister werden – das hast du doch versprochen!«
Bruno Diercksen tätschelte ihre Finger, lächelte sie ob ihrer Einfalt nachsichtig an. »Ja, Kind, das werde ich. Du weißt ja, was der Vater verspricht, das wird er auch halten. Und dein Vater hat auch versprochen, dich bald unter die Haube zu bringen.« Die junge Frau strahlte ihn verzückt an. Sie bewunderte ihren Vater offenbar sehr. »Auch deshalb sind wir hier.«
Mechthild, die gerade erneut von ihrem Kuchen abbeißenwollte, hielt in der Bewegung inne, mit offenem Mund sah sie ihren Mann an.
Bruno Diercksen lehnte sich zurück. »Ich wollte Herrn Vanderen deine Hand antragen.«
Adrian war sprachlos. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Hatte Mechthild Diercksen nicht gesagt, ihr Mann träume von einer adeligen Verbindung seiner Tochter? Rückte er jetzt etwa von diesem Plan ab, weil er kein Bürgermeister geworden war? Wäre die Heirat mit Adrian eine Art Notlösung? Und was würde ihm selbst so eine Verbindung einbringen? Denn dass er Drudeke nicht aus Zuneigung heiratete, stand außer Frage. Doch vielleicht war er auch ungerecht, vielleicht müsste er sie nur besser kennenlernen ...
Er sah Drudeke von der Seite an. Sie schien ebenso erstaunt wie er. Diercksen hingegen lächelte, zufrieden über die gelungene Überraschung.
»Ich biete Euch eine reiche Mitgift. Und ein Haus, das bald – wenn auch vielleicht nicht nächstes Jahr – bestellt werden muss. Meinem Vicus kann ich es noch nicht überlassen. Zu wenig Biss hat er, weshalb ich ihn erst einmal nach
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