Hansetochter
was wohl komisch aussah, denn Gelächter brandete auf. Die beiden brauchten eine Weile, bis sie alle Gänse wieder eingefangen hatten. Glücklicherweise konnte keine von Bord entkommen. Zerrauft, mit Federn in den Haaren und außer Atem standen sie an Deck und wurden erst jetzt gewahr, dass sich aller Augen auf sie gerichtet hatten. Die Männer hatten sich anscheinend gut amüsiert. Nikolas konnte sich kaum einkriegen vor Schadenfreude. ›Als ob wir Gaukler wären‹, dachte Simon erbost und umfasste die Gänse fester.
»Wie überaus lustig, Simon! Wenn du als Kaufmann nicht klarkommst, kannst du immer noch dein Geld auf dem Jahrmarkt verdienen«, hörte er eine spöttische Stimme, konnte aber das Gesicht dazu nicht entdecken.
Nikolas’ Lachen gefror. »An deiner Stelle würde ich das Maul nicht so weit aufreißen, Vicus. Auch du musst erst einmal beweisen, ob ein Kaufmann in dir steckt.«
In der Gruppe der Schaulustigen tat sich ein Spalt auf, so dass auch Simon nun Vicus Diercksen sah. Er konnte es kaum fassen. Womit hatte er verdient, dass auch noch diese Pestbeule an Bord war? Nikolas ging auf Vicus zu, die beiden begannen sich zu schubsen wie zwei Gossenjungen. Schon bildete sich ein Kreis um sie, anfeuernde Rufe wurden laut. Mit einem unmissverständlichen Brüllen gebot der Schiffer ihnen Einhalt. Langsam zerstreute sich die Meute wieder, auch wenn sich Nikolas und Vicus noch immer feindlich musterten. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn Nikolas seinen Zorn auf Vicus richten würde und nicht auf ihn, dachte Simon und wandte sich wieder dem Koch zu, der ihnen Dauben und Messer bereitgestellt hatte.
»Gänse in den einen. Federn und Kroppzeug in den anderen. Abfall in die Bilge«, wies er sie an. Simon setzte sich auf einen Schemel. Er hatte oft gesehen, wie Margarete Tiere geschlachtet hatte, selbst aber noch nie Hand angelegt. Claas wirkte ebenso ratlos.
Der Koch seufzte schwer. »So wird das nie was«, meinte er, nahm eine Gans und drehte ihr den Hals um.
Schlagartig ließ das Flattern nach. Mitleid überfiel Simon, aber es half nichts, sie alle würden sich über ein kräftiges Mahl mit Gänsefleisch freuen, immerhin waren allein elf Mann Besatzung an Bord, dazu kamen die Kaufleute und Lehrjungen. Der Koch zeigte ihnen, wie sie die Gänse rupfen, aufschlitzen und ausnehmen sollten. Mehr schlecht als recht machten sich die beiden Jungen an die Arbeit. Immer wieder musste Simon kurz die Augen schließen, um das flaue Gefühl in seinem Magen unter Kontrolle zu bekommen.
Inzwischen hatten sie die offene See erreicht und durchquerten die Lübecker Bucht. Das Land lag zu ihrer Linken, eine üppig grüne Landschaft, über der sich graue Wolken auftürmten. Der Wind hatte aufgefrischt. Die Kogge schlingerte nun stärker. Simon wurde wieder schlecht; vielleicht lag es aber auch nur am Geruch des Blutes und an den glitschigen Eingeweiden, die ihm übel werden ließen. Da vernahm er neben sich ein Würgen. Claas war ganz grün im Gesicht, und seine Wangen waren prall aufgepustet. Er sprang auf, ließ Gans und Federn achtlos zu Boden fallen.
Der Koch hatte gerade den Grapen in die Glut gestellt undmachte den Bratspieß bereit. »Willst die Fische füttern? Immer über Bord, alles was rauskommt!«, rief Arne ihm hinterher.
Der Junge stürzte zur Reling, schaffte es aber nicht bis dorthin, sondern erbrach sich auf das Deck. Auf allen vieren kniete er über der Lache, sein Körper krümmte und krümmte sich, bevor er endlich zur Ruhe kam. Beschämt sah er sich um, geduckt, wie ein geschlagener Hund.
Ein alter Mann mit einem Holzbein und einer Krücke hatte sich aus der Gruppe der Kaufleute gelöst und kam auf ihn zu. Als er Claas erreicht hatte, schlug der Alte mit dem Stock auf den Jungen ein. Simon hörte, wie er auf ihn einschimpfte, vernahm Worte wie »Schwein«, »besudeln« oder »Schande für den Kaufmannsstand«. Ohne darüber nachzudenken, trat Simon zu den beiden, hockte sich neben Claas und half ihm auf. Im Gesicht des Jungen mischten sich Blut und Tränen. Über der Augenbraue tat sich ein tiefer Riss auf.
»Claas wird das Deck saubermachen. Ich helfe ihm dabei«, sagte Simon mit beherrschtem Zorn.
Der Alte kam näher, sein Holzbein klackte auf den Bohlen. »Wer bist du denn?«, fragte er höhnisch und wurde dann laut. »Zu wem gehört dieser Bengel?«
Jetzt stand auch Nikolas von seinem Würfelspiel auf, sein Gesicht starr, aber die Augen durchdringend und böse. Als er die Jungen
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