Hansetochter
vor, krank zu sein und bestand darauf, im Bett zu bleiben. Ihre Mutter hatte sie zum Aufstehen gedrängt und sogar angeboten, das Kräuterweib ihres Vertrauens zu holen, aber Telse hatte ihr Frauenleiden vorgeschoben und war deshalb in Ruhe gelassen worden. Was sich hinter diesem Frauenleiden verbarg, das musste ihre Mutter nicht wissen. Noch nicht zumindest. Sie fädelte den Zwirn in das Ohr der Nadel aus rötlich schimmerndem Kupfer, setzte Stich um Stich in den Rand des Lakens und stellte sich vor, dass sie ein Taufhemdchen nähte. Ihr Lächeln verstärkte sich: Vielleicht würde es schon bald so weit sein. Sie dachte an den letzten Abend mit Jost. An ihren Schrecken, als er ihr gesagt hatte, dass er die Stadt verlassen würde, ihre Angst, ihn nie wieder zu sehen. An den Moment, in dem sie ihn in dem Badehaus entdeckt hatte. Es war ihm deutlich anzusehen gewesen, wie sehr er sie begehrte. Und sie hatte sich schön gefühlt, so schön wie nie zuvor. Nicht plump und nicht hässlich, wie ihr Vater es immer sagte.
Telse bewegte die Nadel so heftig, dass sie am Rande des Fingerhuts abglitt und in ihre Haut fuhr. Der Schmerz machte ihr nichts aus, er war ihr beinahe ein Trost. Trotzig rieb sie die Stelle, bis sie aufhörte zu bluten, und nähte dann erst weiter. Sogar Nikolas, der sie sonst immer vor der Häme des Vaters in Schutz genommen hatte, war neulich boshaft geworden. Bei den meisten Frauen sei es eine Schande, ihre schönen Gesichter und Haare so stark durch das Gebende zu verdecken, ihr aber würde es durchaus entgegenkommen, hatte er gemeint, und dann noch hinzugefügt, dass immerhin ihr Körper passabel sei. Nun ja, Zartgefühl war nie seine Stärke gewesen. Dafür hatte er andere Qualitäten.
Telse wusste, dass sie keine Schönheit war. Sie wusste, dass die Männer den Blick über ihr Antlitz huschen ließen, bis sie an ihrem Busen hängenblieben. Auch Jost hatte durchaus zu schätzen gewusst, was sie zu bieten hatte. Ein Prickeln zog über ihre Haut, als sie an seine Berührungen dachte und an das, was sie in der Kammer des Badehauses getan hatten. Wohlig seufzend ließ sie die Näharbeit sinken. Sie hatte ihn verwöhnt, bis er kaum noch an sich halten konnte, dann hatte sie ihn mit sich auf die Kissen gezogen. Ungestüm hatte er sie genommen, und sie hatte sich nur zu gerne von ihm überwältigen lassen. Solange sie konnten, hatten sie sich dem Liebesspiel hingegeben, immer in der Angst, entdeckt zu werden. Erst als Henrike laut nach ihr gerufen hatte, hatte Telse sich von Jost losgemacht und war zu ihrer Base zurückgekehrt. Zum Abschied hatte sie ihm gesagt, dass sie auf ihn warten würde und dass er nur ein Kaufmann zu werden bräuchte, damit sie heiraten könnten, auch ohne Mitgift, da würde sie ihren Vater schon zu überreden wissen. Jost war sprachlos gewesen vor Liebe. Aber seine Hände hatten zu sprechen gewusst, und ihr Körper hatte verstanden.
Sie kannte ihn gut, konnte jede seiner Bewegungen deuten. Sie beobachtete ihn schon, seit sie in die Alfstraße gezogen waren. Gern zugesehen hatte sie ihm, wie er seiner Arbeit nachging. Oft unterhalten hatte sie sich mit ihm. Sie dachte an ihre Gespräche zurück, an die gestohlene Zeit und die unbeobachteten Momente. Jeder einzelne war kostbar für sie. Es hatte eine Weile gebraucht, bis sie sein Vertrauen gewonnen hatte. Aber schließlich hatte er ihr von seiner Kindheit erzählt, von Konrad Vresdorp, der ihn aufgenommen hatte, und von seiner Hoffnung, eines Tages eigenen Handel zu treiben.
Immer wieder hatte er allerdings auch Henrike erwähnt,und sein Blick war weich geworden dabei, daran gab es keinen Zweifel. Telse spürte ein Nagen in ihrem Inneren. Henrike. Die vom Glück begünstigte Base. Mit dem schönen Gesicht. Dem reichen Vater, der nicht alles Geld verspielte, versoff und durch falsche Händel vergab. Aber sie durfte nicht neidisch sein, nicht missgünstig. Zumal auch Henrike inzwischen zu leiden hatte. Telse nahm die Näharbeit wieder auf, hielt die Nadel jedoch nachdenklich in der Luft. Sie hoffte wirklich, ihr Vater würde es richten können. Dass er die Betrugsvorwürfe gegen sich aus der Welt schaffen würde. Warum musste er auch Waren in zu kleine Fässer mit einem doppelten Boden füllen? Warum alte Heringe mit neuen vermischen? Warum konnte Hartwig Vresdorp nicht einmal sein Geld auf ehrliche Art und Weise verdienen?
Telse wusste die Antwort, wenn sie ganz aufrichtig war: Weil ihrem Vater ehrliche Geschäfte nicht glückten,
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