Hansetochter
weil er nicht verhandeln und noch weniger mit Geld umgehen konnte. Geld. Immer ging es nur um Geld in ihrem Hause. Auch jetzt war Geld notwendig, um eine Anklage zu verhindern, viel Geld. Insofern war der Tod ihres Onkels ein Glücksfall für die Familie gewesen. Aber wenn das Geld, das Vater aus Konrad Vresdorps Erbe flüssig machen konnte, nicht ausreichte, dann würde sie herhalten müssen, das hatte er ihr deutlich gemacht. Der Tonnenböttcher forderte ein hohes Schweigegeld in Form einer Mitgift und Telses Hand. Auch wollte er gute Verbindungen nach Lübeck, wie so viele. Und eben nicht zu einer Familie seines Standes, sondern er wollte das Handwerk hinter sich lassen und zum Kaufmannsstand aufsteigen. Da kam ihm Hartwig Vresdorps Notlage gerade recht. Aber dass sie, Telse, den Preis dafür zahlen sollte, das war nicht recht!
Telse bemerkte, dass sie das Laken in ihrer Faust geknüllt hatte, und strich es sogleich wieder glatt. Sie würde keinen alten Mann heiraten, nur um ihrem Vater zu helfen! Der Böttcher war über fünfzig, sie wäre seine vierte Frau, und er hatte vermutlich schon einen Stall voller Kinder. Nein, soweit würde sie sich nicht erniedrigen. Sie hatte schon so viel von ihrer Familie erdulden müssen. Den Suff und die Gewalttätigkeit des Vaters, die Herrschsucht der Mutter, die ewige Angst um das Geld. Jetzt war Schluss damit. Genug war genug. Als sie in der Badestube Josts verzücktes Gesicht gesehen hatte, als sie erkannt hatte, welche Macht sie über ihn besaß, hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie würde ihr Leben in die eigenen Hände nehmen. Sie würde alle vor vollendete Tatsachen stellen. Sie würde für Fakten sorgen, die sich nicht so leicht wegschieben ließen wie ihre Wünsche und Träume. Und wie schön war es gewesen, mit ihm zusammen zu sein! Es war, als könnte sie noch immer seine Haut auf ihrer spüren. Brust an Brust, Bein an Bein, Leib an Leib. Ihre Körper, vereint zu einem einzigen. Eine plötzlich aufwallende Hitze ergriff von ihr Besitz. Wenn sie nur daran dachte, dass sie es immer wieder tun konnten, wenn sie erst einmal verheiratet waren! Telse ließ gedankenverloren ihre Hand über ihren Körper wandern. Es war noch etwas Zeit, bis Henrike ihr das Essen bringen würde.
~~~
Hartwig Vresdorp ließ sie, etwa drei Wochen, nachdem Simon abgereist war, in die Dornse rufen. Henrike konnte sich einfach nicht mit dem Anblick abfinden, wie er mit den Gegenständen ihres Vaters hantierte. Hartwig packte in aller Seelenruhe Unterlagen in die Ahornschatulle und ließ Henrike wie gewohnt stehen. Wollte er ihr mit diesem Spielchen seine Macht beweisen? Dann war es ein Fehlschlag. Sie fand sein Verhalten lachhaft und ärgerlich, aber nichts sonst. Was sie allerdings zusammenfahren ließ, war das Wachstafelbüchlein, das sie auf dem Tisch erblickte! Es war ihres, ohne Zweifel. Wo hatte er es gefunden? Und daneben ein Papier – war es etwa der Brief, in dem es umseine Betrügereien ging? Aber sie hatte ihn doch in ihrem Zimmer versteckt! Sie bemühte sich, nicht auf diese beiden Dinge zu starren, doch es war schon zu spät. Ihr Onkel nahm das Büchlein hoch und schlug es auf, kam näher und wedelte ihr damit vor dem Gesicht herum.
»Drei Fässer Heringe, zwei Fässer Wein, vier Packen Juchtenleder – hast du das geschrieben?«
Leugnen war vermutlich zwecklos, also musste sie es mit der Wahrheit versuchen, besser gesagt mit einer leicht geschönten Version der Wahrheit. Henrike versuchte die Sorgen in ihrer Stimme zu überspielen: »Ich habe mir nur notiert, was noch im Keller ist, das hatte Tante Ilsebe mir doch aufgetragen.«
»Hat sie das?«, fragte er argwöhnisch.
Sie nickte stumm.
»Und was ist mit dem Brief? Ich weiß, dass du ihn gesehen und gelesen hast!«
Henrike schüttelte den Kopf. »Ich kenne den Brief nicht«, log sie.
Er packte ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. Er hatte ein Funkeln in den Augen, das Henrike ängstigte. Er benahm sich wie ein in die Enge getriebenes Tier. Sie zwang sich, Ruhe zu bewahren, ihm standzuhalten.
»Ich weiß nicht, ob ich dir noch glauben kann. Meine Geduld mit dir ist am Ende. Und ich sage dir, Henrike, wenn ich herausfinde, dass du dich in meine Geschäfte einmischst, dann Gnade dir Gott.«
Onkel Hartwig stieß sie von sich, dass sie taumelte. Er kam hinterher, drohend, einen Moment lang fürchtete sie fast, er würde sie schlagen, aber er stieß nur düster hervor: »Denke daran, dein Leben und das von Simon
Weitere Kostenlose Bücher