Hansetochter
Gürtel herstellen lassen? Oder durften das nur die Gürtler? Gab es eine Gürtler-Zunft? Und wenn ja, was würde sie zu ihren Plänen sagen?
Henrike verschloss das Tintenfass und schüttelte diese Fragen ab. Noch war es nicht so weit, noch wollte sie sich darüber keine Sorgen machen, was sie durfte und was nicht. Sie steckte den Brief zu ihrem Wachsbüchlein in die Tasche, nahm das Fässchen mit den Garnen und machte sich einmal mehr auf den Weg zu Adrian. Natürlich könnte sie sich auch nach einem Händler umhören, der gen Travemünde fuhr und ihre Post mitnahm. Aber erstens könnte es ihrem Onkel zu Ohren kommen und zweitens hatte sie dann keinen Grund, Adrian aufzusuchen, worauf sie sich, das gestand sie sich mit jedem Schritt mehr ein, schon freute.
Beschwingt lief sie die Straße hinab und lauschte den Amseln, die auf den höhergelegenen Ästen saßen und lauthals den Frühling begrüßten. Die Weinstöcke vor den Häusern trieben bereits aus. Als sie um die Ecke bog, sah sie Adrian vor der Tür seines Hauses stehen. Bruno Diercksen war bei ihm. Henrike zog sich einige Schritte zurück, der Ratsherr brauchte sie nicht zu sehen. Sie tat, als habe sie ein Steinchen im Schuh, bückte sich und spähte immer wieder an der Hauswand vorbei. Diercksen redete auf Adrian ein, schlug ihm auf die Schulter. Als sie beim nächsten Mal aufsah, reichten die Männer einander die Hände. Danach humpelte der Ratsherr die Treppe hinunter und entfernte sich. Adrian verschwand durch das Tor.
Henrike, die ihm gefolgt war, fand ihn im Hinterhof, wo er gerade ein Pferd aus dem Stall führte. Es war ein schönes Ross, kräftig und mit glänzendem Fell. Als es wieherte, kam aus dem Stall ein Schnauben, Adrian musste also noch mindestens ein weiteres Pferd besitzen. Der Stall war frisch gestrichen, Schuppen und Flügelanbau des Hauses waren jedoch baufällig. Das Dach war löcherig, die Mauern halb eingestürzt. Hier gab es noch einiges zu tun. Adrian wirkte in sich versunken, doch sein Gesicht hellte sich auf, als er Henrike bemerkte.
»Jungfer Henrike, ich hatte gar nicht mit Euch gerechnet«, begrüßte er sie.
Henrike lächelte entschuldigend. »Der Brief für meine Tante ist fertig. Ihr hattet angeboten ...«
»Natürlich! Ich weiß, was ich Euch angeboten hatte.« Er strich über den Hals des Pferdes. »Ich wollte gerade ein wenig ausreiten. Ich muss mich um die Ziegel für den Anbau kümmern. Eilt es denn?«
Plötzlich hatte sie Sorge, ihn zu bedrängen. Wer weiß, worüber er mit Diercksen verhandelt hatte. Außerdem hatte er sicher viel zu tun.
»Kann Cord mir eventuell helfen?«, schlug Henrike vor.
Adrian verneinte, Cord habe einen wichtigen Auftrag übernommen, und auch die anderen Männer, die für ihn arbeiteten, waren unterwegs. Aber er selbst würde ihr gerne helfen, nur eben später. Henrike betrachtete das Ross, sein glänzendes Fell, die großen Augen unter den langen Wimpern, den kraftvollen Körper. Sie konnte nicht widerstehen und hielt dem Pferd die Hand hin. Es legte seine Nüstern hinein und blies seinen warmen Atem in die Handkuhle.
»Was für ein wunderschönes Tier du bist«, flüsterte sie.
Adrian beobachtete sie. »Ihr mögt wohl Pferde?«
Henrike konnte eine leichte Wehmut kaum verhehlen. »Früher bin ich oft ausgeritten. Es gibt einige schöne Flecken vor der Stadt, die man gut auf dem Pferderücken erreichen kann. Aber seit Vater tot und Simon unterwegs ist, habe ich niemanden mehr, der mit mir ausreitet«, sagte sie.
Dazu kam, dass derzeit fast alle Pferde aus ihrem Stall verschwunden waren. Lediglich Bagge war geblieben. Er war aus der Sicht ihrer Tante sogar schon zu alt, um sie nach Stralsund zu bringen. Ilsebe Vresdorp hatte ihn an den Rossschlachter verkaufen wollen, was Henrike ihr in letzter Minute jedoch ausgeredet hatte. Hätte sie doch auch auf ihren Hund besser aufgepasst, dachte sie traurig.
»Ihr wirkt bekümmert«, stellte Adrian fest.
»Ich musste an meinen Hund denken. Meine Tante Asta hatte ihn mir geschenkt, er sollte auf mich aufpassen. Griseus war weg, von einem Tag auf den anderen. Ich glaube, Nikolas ist dafür verantwortlich, aber ich kann es ihm nicht beweisen«, sagte sie und strich über den breiten Nasenrücken des Pferdes. »So vieles ist aus meinem Leben verschwunden, dass ich manchmal Angst habe, dass mir irgendwann nichts mehr bleibt«, fügte sie verzagt hinzu.
Adrian sah sie an, und sie glaubte, Verständnis in seinem Blick zu lesen. Wie gerne würde
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