Hansetochter
auch bei den privaten Dingen nur ums Geld? Der Gewinn ist alles?«, fragte sie mit einem Anflug von Ernüchterung.
Adrian sah sie von der Seite an, fuhr sich nachdenklich mit der Hand durchs Haar.
»Nein«, sagte er, »nicht nur. Es ist aber anders als bei einem Goldschmied, der sein Werkstück am Abend beiseitelegt. Der Handel fordert den ganzen Menschen, zu jeder Zeit. Was den Gewinn angeht, so ist es ein schmaler Grat. Sogar in der Bibel heißt es, wer Gewinn sucht, der wird damit zugrundegehen. Es steht aber auch in der Heiligen Schrift, dass man die Kaufleute achten solle, denn es sind nützliche Leute.«
Es war eine diplomatische Antwort, ganz eines Kaufmanns, wenn nicht eines Gelehrten würdig. Wie aber sah es wohl in seinem Herzen aus?
»Vermisst Ihr Eure Heimat nicht?«, wollte sie von ihm wissen.
Adrians Gesicht verschattete sich für einen Augenblick. »Meine Heimat nicht«, sagte er, »meine Familie schon.«
»Erzählt mir von Eurem Zuhause«, bat sie. »Wie ist es dort?«
Er überlegte einen Moment, zupfte einige Sumpfdotterblumen ab und reichte sie ihr, damit sie sie in ihren Kranz einflechten konnte. Ausführlich erzählte er von seinem Bruder, dessen Familie und seinen Schwestern und ihrem Haus, das ein Haus voller Arbeit, aber auch voller Freude zu sein schien.
Henrike hörte aus dem Ton seiner Stimme auch sein Sehnen heraus.
»Ihr müsst sie schrecklich vermissen, und doch seid Ihr hier«, sagte sie mitfühlend.
»Zum Wesen des Handels gehört es, in verschiedenen Städten zu verkehren, aber auch, sie miteinander zu verbinden. Und wie könnte man das besser als durch Familienbande?«, sagte er.
Sie wusste, dass diese Haltung auch für ihre Stadt galt. Ganze Generationen von Lübecker Kaufleuten hatten in diesem Sinne gehandelt, hatten nach Reval, Riga oder Dorpat geheiratet und diese Handelsorte zur Blüte gebracht.
»Unser Handel muss ausgebaut werden«, fügte er hinzu. »Da sind Lambert und ich uns einig. Denn worum geht es letztlich in unserem Leben? Uns durchzuschlagen und für diejenigen da zu sein, die uns anvertraut sind. Und wir müssen auch für unsere Schwestern sorgen.«
Ihr gefiel, wie er sich für seine Familie einsetzte und doch sein eigenes Leben führte. Sie wünschte, sie könnte es ihm gleichtun.
»Und was ist mit Euren Eltern? Sind sie tot?«
Adrian sah plötzlich bedrückt aus und schwieg. Es tat ihr leid, dass ihr Gespräch eine so ernste Wendung genommen hatte, schließlich war es ein so schöner Tag gewesen, der schönste seit Langem. Sie legte die beiden Enden ihrer Flechtarbeit zusammen und verband sie zu einem Blütenkranz, den sie sich schief auf das Haar setzte.
Er lächelte wieder. »Ihr seht aus wie die Blütenkönigin einer Sage mit Eurer grünen Krone und den weißen und lila Schmucksteinen. Wenn das Eure Tante sehen würde!«
»Dann würde sie auf der Stelle tot umfallen«, lachte sie und legte ihm übermütig den Blütenkranz auf das Haupt. »Wenn ich die Blütenkönigin bin, dann seid ihr der König der Auen.«
Adrian tat so, als ob er sein Volk mit großer Geste grüßte, reichte den Kranz dann aber zurück. »Drängt es Euch bereits zum Aufbruch, Fräulein Königin?«, fragte er lächelnd. »Oder wollen wir noch ein wenig am Fluss entlangspazieren?«
Er hielt ihr seinen Arm hin.
»Nur zu gern!«, sagte sie und hängte sich bei ihm ein.
Aus einem von Erlen beschatteten Teil des Flusses glitt ein Fischotter ins Wasser. Still sahen sie zu, wie er den Fischen nachspürte. Plötzlich hörten sie ein Platschen, ein zweiter Otterschwamm heran, und die beiden jagten sich durch das Wasser und über den Uferstreifen. Nach einer Weile verschwanden sie hinter der nächsten Flussbiegung.
»Es ist so ruhig hier, so idyllisch. Man kann sich kaum vorstellen, dass eine große Stadt wie Lübeck in der Nähe ist«, staunte Adrian.
Henrike lachte. »Wenn es anders gekommen wäre, stünden wir vielleicht jetzt auf dem Marktplatz Lübecks. In dieser Gegend, am Zusammenfluss von Trave und Schwartau, war die alte slawische Siedlung Liubice, die Liebliche, die Schöne, genannt. Doch dann brannte die Stadt nieder. Sie wurde verlegt, Heinrich der Löwe ließ sie neu aufbauen – und Lübeck entstand«, erzählte sie.
Fasziniert hörte Adrian zu. »Ihr kennt Euch gut aus«, meinte er.
»Ich hatte einen guten Lehrmeister. Meister Detmar, der Beichtvater meines Vaters, hat uns eine Zeit lang unterrichtet. Und er kennt sich in der Geschichte aus wie kein
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