Hansetochter
sie sich auf das Pferd schwingen und einfach losreiten! Ein Bild trat vor ihre Augen: Adrian und sie galoppierten über die Felder, ihr Kleid und ihre Haare wehten im Wind, ihr Gesicht glühte vor Freude und das seine ebenso. Als er sie aus ihren Tagträumen riss, wurde sie rot.
»Ich würde Euch anbieten, dass Ihr mich auf meinem Ritt begleitet. Aber ich glaube kaum, dass Eure Familie das gutheißen würde«, sagte er.
Henrike spürte die Sehnsucht wie ein Ziehen in ihrem Herzen. »Liebend gerne würde ich mitkommen! Ich glaube kaum, dass uns jemand sieht«, rief sie aus.
Das Pferd begann zu tänzeln, und Adrian rieb ihm beruhigend die Flanke, wirkte jedoch nicht überzeugt.
»Nein, Henrike, es ist einfach zu gefährlich. Es könnte Eurem Ruf schaden.«
Die Gedanken überschlugen sich in Henrikes Kopf. Sie fühlte sich wie ein Vogel, der für einen Augenblick dem Käfig entflohen war. Noch flatterte er in der Sonne, aber schon sah er die Hände kommen, die seinen kleinen Körper umschließen und ihn in sein Gefängnis zurückzwängen würden. Sie fühlte Trotz in sich aufsteigen. Sie würde sich nicht unter die Zucht ihrer Tante zwingen, wenn diese gar nicht da war! Da hatte sie einen Einfall, der gerade verrückt genug war, um klappen zu können.
»Bitte, nehmt mich mit. Bald schon ist meine Tante wiederda, dann ist es ohnehin mit den Ausritten vorbei. Jetzt, nur jetzt kann ich tun, was ich möchte. Und ich möchte es so sehr! Ich werde alte Kleidung meines Bruders anziehen, dann wird mich niemand erkennen.«
»Simons Hosen und Hemden? Die werden Euch kaum passen.« Adrians Mundwinkel hoben sich erheitert, dennoch schien er bereit, ihrem Wunsch nachzukommen. »Kommt herein, wir werden sehen, was sich machen lässt.«
In einer Kammer fanden sie Kleider, die Adrian für seinen Gehilfen Liv hatte anfertigen lassen und die dieser im Moment wohl nicht benötigte. Er wartete in der Diele, während Margarete Henrike half, sich umzukleiden. Dabei redete die Alte pausenlos auf ihren Schützling ein, versuchte Henrike zu überzeugen, diese Dummheit zu unterlassen. Die junge Frau ließ sich den Ausritt jedoch nicht ausreden, und so fügte sich die Köchin und versteckte Henrikes Haar unter einer Mütze.
Wenig später brachen Adrian und sein neuer Gehilfe auf, um den Ziegelbrennern vor der Stadt einen Besuch abzustatten. Henrike starrte auf den Rücken ihres Vordermannes, als sie das Stadttor durchritten. Sie fürchtete, trotz ihrer Verkleidung erkannt zu werden.
Als die Landschaft sich aber in einem hellen Grün vor ihnen erstreckte und der Fluss in der Sonne glitzerte, ging Henrike das Herz auf vor Freude. Ihr Pferd preschte los, überholte Adrians im Nu, und glücklich ließ sie ihm die Zügel schießen. Wenig später schloss Adrian zu ihr auf, gemeinsam galoppierten sie über die Wiesen und Auen. Erst als die rauchenden Hütten der Ziegelbrenner in Sicht kamen, fielen sie in einen ruhigeren Trab. Bei der Ziegelei angekommen, saß Adrian ab.
Es war die einzige der fünf Lübecker Ziegeleien, die nicht ausschließlich für Kirchen und Klöster arbeitete. Henrike folgte dem Kaufmann zu dem Meister, wie es ein dienstbarer Gehilfe wohl tun würde. Sie war mit ihrer Aufmerksamkeit jedoch beiden verschiedenartigen Arbeiten im Lager. Während die Männer über den Kauf einer Ladung Ziegel verhandelten, beobachtete sie, wie der Lehm in die Formen gefüllt und glattgestrichen wurde. Wie Helfer die Lagen in einen Ofen brachten und Holzscheite durch eine Öffnung eines weiteren Ofens warfen, in dem ein helles Feuer loderte. Wie ein Junge, kaum älter als Simon, einen Haufen Ziegel mit einer Flüssigkeit anstrich.
»Na, Herr Vanderen, Euer Gehilfe scheint ja mächtig neugierig zu sein«, hörte sie eine Stimme hinter sich. »Wollt Ihr ihn nicht hierlassen? Er kann ein bisschen anpacken, dann bekommt er auch ein paar Muckis.«
Sie sah sich um. Der Meister und Adrian standen hinter ihr und lachten, der Mann hielt Ziegelsteine in den Händen. Sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss, und mühte sich, sich ihre Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Da warf der Meister ihr einen Stein zu. Nur knapp konnte sie ihn auffangen, ging dabei jedoch in die Knie. Die Gesellen und Lehrlinge, die die Szene beobachtet hatten, johlten.
Adrian nahm den Spott gutwillig hin. »Ich fürchte, ich kann ihn nicht entbehren. Obgleich ihm ein paar, wie sagtet Ihr, Muckis wohl nicht schaden könnten. Her damit, Liv, wollen mal sehen, ob du
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