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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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Henrike würde erst einmal in einer Kammer bei den weiblichen Dienstboten übernachten, das hatte ihre Tante schon angekündigt. Zwei Sätze ihrer Tante hatten ausgereicht, um in ihr jeden Widerspruchsgeist zu ersticken: »Wenn Simon und du tot seid, gehört uns sowieso alles. Oder wenn Simon stirbt und du Nikolas heiratest.« Sterben oder ihren verhassten Vetter heiraten   – das war wie die Wahl zwischen Hölle und Fegefeuer. Beides würde sie von Herzen gern vermeiden, doch das kleinere Übel würde sie ertragen müssen.
    Vier Gestalten kamen ihnen vom Stadttor entgegen, die den schönen Tag wohl für einen Spaziergang genutzt hatten. Mechthild und Bruno Diercksen gingen höflich grüßend voraus, gefolgt von Drudeke Diercksen und Adrian Vanderen. Henrikes Brust wurde so eng, dass sie kaum atmen konnte; zugleich hatte sie die Warnung ihrer Tante noch im Ohr. Sie starrte zu Boden, während sie mit weichen Knien Fuß vor Fuß setzte, doch Adrian sprach sie an.
    »Jungfer Henrike, geht es Euch gut?«
    Sie sah kurz auf, sein Blick war ehrlich besorgt. Wie gerne hätte sie ihm die Wahrheit gesagt, hätte sich in seine Arme gestürzt, sich von ihm trösten und schützen lassen! Doch sie durfte es nicht. Ihr wurde klar, dass er Zeuge ihres Niederganges wurde, und Schamröte schoss ihr in die Wangen. Zugleich spürte sie einen scharfen Stich im Herzen.
    »Natürlich geht es ihr gut. Sie wird meinen Sohn Nikolas heiraten und nach Dorpat ziehen. Die beiden werden dort einenHandel eröffnen«, sagte ihre Tante in herrschaftlichem Ton, der in krassem Gegensatz zu dem traurigen Bild stand, das sie alle gerade abgeben mussten.
    Das Grauen vor der Zukunft packte Henrike mit einem Schlag. So weit waren die Pläne ihrer Tante und ihres Onkels also schon gediehen!
    »Aber Henrike, ist das wirklich Euer Wunsch?«, fragte Adrian befremdet.
    »Ich verbiete Euch diesen vertraulichen Ton meiner Nichte gegenüber!«, fuhr Ilsebe Vresdorp ihn an.
    Jetzt war das Ehepaar Diercksen zu ihnen getreten. Ihre Tante zog Henrike mit sich, sie wollte diese Begegnung wohl vermeiden.
    Doch Adrian ließ nicht locker. »Henrike!«, rief er ihr nach.
    Sie blickte sich noch einmal zu ihm um, sah Adrian und Drudeke nebeneinander stehen. Sie waren ein schönes Paar. Sie würde tapfer sein müssen. Für Simon, für sich.
    »Ich werde tun, was meine Pflicht ist. Und nun lebt wohl, Herr Vanderen.«
    ~~~
    Adrian war es, als ob tief in seinem Innern etwas zerbräche. Henrikes Anblick war herzzerreißend gewesen, aber ihre Worte hatte sie klar und fest hervorgebracht. Es konnte keinen Zweifel geben, dass sie es ernst gemeint hatte. Zu seiner Familie stehen, seine Pflicht tun   – was das bedeutete, wusste er selbst nur zu gut. Durfte er sich in ihre Belange einmischen, wenn sie es doch nicht wollte? Nein, das durfte er nicht. Er musste sie aufgeben und vergessen, so schwer es ihm auch fallen würde. Adrian dachte an die Heiratspläne seiner Schwester. Immer wieder hatte er überlegt, wie er die Mitgift aufbringen könnte, aber es gab nur eine Lösung. Er stand seiner Familie gegenüber in der Schuld,war verpflichtet, sein eigenes Glück dafür hintanzustellen. Er würde nicht so handeln wie seine Eltern, die ihre Kinder sich selbst überlassen hatten.
    Henrike hatte an dem wunderschönen Tag am Fluss nach seinen Eltern gefragt, und stillschweigend hatte er sie glauben lassen, dass sie tot seien. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Sein Vater hatte sich tatsächlich totgesoffen. Aber seine Mutter, die immer weggeschaut hatte, wenn ihr Mann die Kinder verprügelte, war nach dessen Tod in tiefer Trauer versunken und hatte sich in ein Kloster zurückgezogen. Wie es mit ihren Kindern weitergehen würde, hatte sie nicht gekümmert. Adrian hatte ihr Verhalten nicht verstanden, hatte trotz allem noch einen Funken Mutterliebe verspürt. Doch als sie jeglichen Kontakt mit ihren Kindern abbrach, war langsam auch dieser erloschen. Nein, er war anders, er müsste zumindest versuchen, seine Pflicht zu tun.
    »Wo auch immer Ihr in Gedanken seid, Herr Vanderen, hier seid Ihr nicht.«
    Adrian sah auf. Sie hatten Bruno Diercksens Haus erreicht. Er hatte gar nicht mitbekommen, wie sie den Rest des Weges zurückgelegt hatten. Drudeke Diercksen blickte ihn blinzelnd an. Sie war aufwändig geschminkt und frisiert wie stets, sah eher nach einem Ball als nach einem einfachen Ausflug aus. Während des Spaziergangs hatte sie ständig die Verdienste ihres Vaters gerühmt. Adrian

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