Hansetochter
Euch bis dahin ja noch.«
Hartwig Vresdorp knüllte den Brief zusammen und warf ihn ins Feuer, dann zog er sich in die Dornse zurück. Tante Ilsebe folgte ihm, ihre Wangen bebten vor Wut.
Henrike nutzte den unbeobachteten Moment. Sie huschte durch den Keller, eilte zu der Luke an der Schreibstube und legte das Ohr an das Holz.
»Was ist hier eigentlich los?«, hörte sie ihre Tante fauchen. Ein unwirsches Brummen, dann ein Schlag und ein hohles Klonken. »Schluss mit dem Suff! Du wirst mir erklären, was hinter dem Brief steckt! Den Böttcher hatte ich doch ruhiggestellt.«
»Der Böttcher hat damit nichts zu tun.«
»Wer dann?« Der Ton der Tante war scharf.
»Ich habe Schulden bei einem Händler in Schonen«, war Hartwig Vresdorps zerknirschte Stimme zu hören. »Habe seine Fische gekauft und noch nicht bezahlt. Ich wollte ja, aber dann kam das mit den Fässern und den Bestechungsgeldern dazwischen. War kein Geld mehr übrig für Schonen.«
»Und warum hast du dann Jost hingeschickt?«
»Dachte, er könnte den Händler mit ein paar Waren und einer Anzahlung besänftigen. Bekomme ich jetzt wieder Wein?« Der Onkel klang weinerlich.
»Noch nicht. Um wie viel geht es?« Hartwig nannte eine Summe, die Henrike schwindeln ließ.
Die Tante, entschlossen: »Dann verkaufen wir die Krambude.«
Die Stimme des Onkels war matt. »Ist schon weg.«
Henrike schnappte nach Luft und schlug die Hand vor den Mund, aus Angst, einen Laut von sich zu geben, der sie verraten könnte. Die Untaten und Schulden des Onkels waren wie ein Fass ohne Boden. Alles würde dieses Fass verschlingen, was sie besaß, alles.
»Der Ratsherr wollte immer mehr, damit er das Maul hält.«
Ein Ratsherr war auch in den Betrug verwickelt, hatte sich bestechen lassen? Henrike war fassungslos.
»Aber der fingierte Schiffbruch?« Ilsebes Tonfall war schrill geworden.
»Hat nicht ausgereicht. Außerdem gibt’s da auch schon wieder Schwierigkeiten. Vanderen ist dahintergekommen. Und das bedeutet, wir brauchen neue Bestechungsgelder.«
»Dieser verdammte Vanderen! Und jetzt heiratet er auch noch Diercksens Tochter. Da kommen ja die Richtigen zusammen!«
Henrikes Herz setzte einen Schlag aus. Adrian würde Drudeke heiraten? Auch er war verloren, für sie zumindest? Der Mann, der an ihrer Seite gestanden hatte, in den sie sich hoffnungslosverliebt hatte? Und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken. Drudeke war hübsch, ihr Vater wohlhabend und einflussreich. Mit dieser Heirat würde er in Lübecks erste Gesellschaft aufrücken und gleichzeitig die Zukunft seiner drei Schwestern sichern. Sie hingegen war ein Niemand, arm und unbedeutend. Schlimmer noch, ihre Verwandten drohten den Ruf der Familie zu ruinieren, so dass irgendwann keiner mehr Handel mit ihnen treiben würde. Henrike war zum Weinen zumute, doch sie hatte keine Tränen mehr.
Die Schlussfolgerung ihrer Tante versetzte ihrer letzten Hoffnung vollends den Todesstoß: »Dann haben wir nur noch eine Möglichkeit. Dieses Haus muss weg.«
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Zwei Tage vor Ostern zogen sie aus der Alfstraße aus. Das Haus, in dem Henrike aufgewachsen war, in dem sie mit ihrem Vater und ihrem Bruder eine glückliche Zeit verbracht hatte, war an den Händler aus Schonen verpfändet worden. Henrike ließ noch einmal die Finger über die Kratzer und Risse in dem Handlauf der Treppe wandern. Täglich waren sie hier gegangen, hatten sie sich hier festgehalten. Sie ging die Stufen empor. Auf dem Speicher hatte sie mit Simon gespielt, ihren Vater bei der Arbeit beobachtet, wissbegierig alles aufgesogen, was er ihr erklärt hatte. Jetzt waren die Räume leer und verstaubt. Der Herd war kalt, zum ersten Mal seit vielen Jahren. Wie oft hatte ihr Vater am Kamin gesessen und seinen Harnisch poliert, während ihre Stiefmutter aus dem Psalter vorlas! Das Herz war ihr schwer. Vorbei, alles vorbei, aber nicht vergessen.
Draußen strich sie zärtlich über die Verzierungen der Beischlagwangen, mit Tränen in den Augen sah sie noch einmal an der Front des Kaufmannshauses empor.
Die Tante drängte. Ihre wenigen Halbseligkeiten füllten dieLadefläche kaum, Bagge, das einzige Pferd, das ihnen geblieben war, würde es leicht haben, den Karren zu ziehen. Leise hörte Henrike das Papier an ihrer Brust knistern. Sie hatte es beim Einräumen an sich bringen können, so hatte sie wenigstens die Möglichkeit, Asta zu schreiben.
Sie würden in Zukunft in dem Haus ihres Onkels und ihrer Tante in der Fleischhauerstraße wohnen.
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