Hansetochter
Pause. »Du hast dich nicht einzumischen. Du hast auch keine Fremden in unsere Angelegenheiten zu verwickeln. Bis du das begreifst, werden wir dich strafen müssen. Du kannst sicher sein: Uns macht das nichts aus, nicht wahr, Rotger?«
Verschwommen sah Henrike, wie Ilsebe die Hand unter das Kinn des Gehilfen legte und sein Gesicht zu sich drehte, als sei er ein Tier, dessen Zähne sie prüfen wollte. Hündisch bewundernd sah Rotger die Matrone an.
»Und wenn dein Bruder zurückkehrt, werden wir gezwungen sein, ihn für deine Widerspenstigkeit leiden zu lassen, bis du dich endlich besinnst. Wenn es euer beider Leben kostet, umso besser. Wir weinen euch keine Träne nach.«
Henrike begann unkontrolliert zu zittern. Sie bekam kaum mit, wie ihre Tante und Rotger die Kammer verließen.
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Als Janne ihr am nächsten Tag das Essen brachte, bat Henrike die Köchin, ihrer Tante zu sagen, dass sie sich besonnen habe. Um ihr eigenes Leben fürchtete sie nicht, aber Simons Leben konnte sie nicht auch noch riskieren. Sie müsste sich fügen und auf Besserung hoffen. Irgendwann würde Hartwig Vresdorp für seine Betrügereien zur Rechenschaft gezogen werden. Irgendwann wäre Simon alt genug, um die Verantwortung für sie beide zu übernehmen. Sie musste nur durchhalten. Sasses Bericht klang ihr noch im Ohr. Wie sich Tante Ilsebe mit ihren Untaten gerühmt hatte! Sie würde nie herausfinden, was ihrem Vater wirklich geschehen war, wenn sie in dieser Kammer bleiben musste. Und ihre Tante mit dem zu konfrontieren, was Asta herausgefunden hatte, brachte nichts. Es gab keinen Beweis dafür, dass sie wirklich einen Ratsherrn zu Fall gebracht hatte und dass dieser Ratsherr ihr Vater gewesen war. Dennoch musste die Wahrheit ans Licht, die Gerechtigkeit musste siegen. Dafür wäre Hilfe aus dem Rat von Nöten, und dafür musste sie mehr wissen. Diesem Ziel musste sie ihren Stolz und ihren Hass unterordnen, vorerst zumindest.
Rotger brachte Henrike mürrisch zu ihrer Tante, es schien ihm nicht zu passen, dass sie ihr Gefängnis verlassen durfte. Ilsebe Vresdorp schrieb Henrike vor, wie sie sich zu verhalten habe, wenn sie am normalen Leben teilnehmen wollte. Henrike hätte am liebsten vor Verzweiflung gelacht. Als ob es für sie noch ein normales Leben gab! Die Gebote ihrer Tante waren keine Überraschung: Henrike sollte gehorchen, schweigen, jeden Kontakt mit Fremden meiden, sonst werde es ihr und Simon übel ergehen.
Und Henrike versprach es.
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In den nächsten Tagen wurde sie behandelt wie eine Dienstmagd. Sie wusch und schrubbte, bis ihre Finger brannten, half in der Küche und bediente bei Tisch. Im Haus waren nur Ilsebe und Hartwig, Rotger und die Köchin. Telse schien noch in Stralsund zu sein, aber niemand sprach von ihr, und so fragte Henrike auch nicht nach. Sie trug gerade eine Platte mit gesottenem Aal auf, als es an der Tür klopfte. Tante Ilsebe gab Henrike einen Wink, und sie öffnete.
Ein Mann trat ein, doch Hartwig Vresdorp sah kaum auf und rief stattdessen nur mit vollem Mund: »Wir haben alles bezahlt, was wir können. Mehr geht nicht. Kommt in ein paar Monaten wieder!«
Seine Ehefrau, die genauer hingeschaut hatte, stieß ihn mit dem Ellenbogen an. Der Besucher trug Reiterkleidung. SeinHaar war vom Wind zerzaust, die Stiefel vom Straßenkot befleckt. Es war ein Bote. Seine Worte bestätigten diesen Eindruck.
»Ich bringe Euch Nachricht von Eurem Gehilfen Jost. Er wird in Schonen festgehalten«, sagte er.
Der Bote reichte Hartwig Vresdorp einen Brief. Dieser spülte seinen Bissen mit einem tiefen Schluck herunter und wischte sich die fettigen Finger notdürftig an seinem Wams ab, bevor er ihn annahm. Er schnaufte unwillig, während er las.
Als er wieder aufsah, sagte der Bote kühl: »Euer Gehilfe wird so lange in unserem Gewahrsam bleiben, bis Ihr zahlt.«
»Das ist Erpressung!«, protestierte ihr Onkel.
»Und das was Ihr macht, ist Betrug«, gab der Bote achselzuckend zurück.
Hartwig bleckte die Zähne. »Ihr könnt ihn behalten. Gehilfen gibt es wie Sand am Meer.«
Hart stellte Henrike die nächste Schale ab. Nicht nur, dass Jost gefangen gehalten wurde, weil sein Herr betrogen hatte, er wurde nun auch noch fallengelassen. Aber dieses Verhalten passte zu ihrem Onkel.
»In diesem Fall liefern wir ihn an den Rat aus. Dann könnt Ihr Euch vor den Ratsleuten rechtfertigen«, sagte der Bote gleichgültig und wandte sich ab. »Wie auch immer. Morgen früh komme ich wieder. Vielleicht überlegt Ihr es
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