Hansetochter
die auf dem Tisch standen. Hermanus von Osenbrügghe, ein gepflegter älterer Herr mit silbergrauem Haar, der oft an Königshöfen über die Geschicke der Hanse verhandelt hatte und der Adrian Vanderen offenbar aus Brügge kannte, ließ sich von diesem alle Einzelheiten des Piratenangriffs schildern. Henrike und Simon breiteten unterdessen den Baldachin aus, so dass man ihn gut hochheben konnte. Er hatte einiges Gewicht, und die Stangen waren lang; die Männer würden unentwegt im Gleichschritt gehen müssen, wenn sie ihn gerade halten wollten.
»Johan, die Rede ...«, wandte sich ihr Vater an einen der Herren. Der Mann im gelb-gemusterten Wams blies entnervt die Wangen auf.
»Ich weiß. Aber all dieser allergnädigst, allerdurchlauchtigst, aller-ach-leckt-mich-doch«, stieß Johan Perceval hervor. Er lallte leicht, es war wohl nicht die erste Kanne Bier, die die Männer sich genehmigt hatten. »Nur weil Plescow und Swerting abgereist sind! Jetzt bin ich geschäftsführender Borghermester und muss das geschwollene Gerede übernehmen!«, schimpfte er, doch es war ihm anzusehen, dass er seine Worte nicht ganz ernst meinte. Hartwig Vresdorp schnalzte missbilligend.
»Was soll ich denn sagen? Ich springe hier nur ein, bin nicht einmal Rademanne. Es wird sich ein anderer finden, der den Kaiser begrüßt, wenn Ihr es nicht wollt. Ich würde es gerne machen. Sicher wird er sich für einen guten Empfang erkenntlich zeigen.« Er warf seinem Bruder einen scheelen Blick zu.
»Na, so weit kommt es noch!«, wies ihn Johan Perceval zurück und erhob sich. »Also los!«
Die Männer machten nicht den Eindruck, als ob sie sich auf ihre Aufgabe freuten, kamen jedoch der Aufforderung nach. Henrike und Adrian halfen ihnen, den Baldachin auszurichten.
»Und jetzt geht los!«, feuerte ihr Vater die Männer an. »Links, rechts ... Hartwig! Links, rechts, ... Besser so, immer voran! Nun die Rede.« Der Baldachin schwankte nur wenig, während sie in der Diele einherschritten, an den Wänden kehrtmachten und wieder zurückmarschierten.
»Allerdurchlauchtigster großmächtigster Kaiser«, begann Johan Perceval wieder und hielt die Begrüßungsrede, relativ flüssig dieses Mal. Nach einiger Zeit ließen die Männer den Baldachin sinken, ihr Vater rieb sich die Arme.
»Das kann ganz schön zäh werden! Der Weg ist lang. Vom Burgtor über die Breite Straße zum Dom, danach vorbei an der Ecke Königstraße und Johannisstraße zum Quartier des Kaisers. Immer wieder anhalten bei Begrüßungen und Gesängen, da werden uns abends die Arme brennen! Kommt, wir setzen uns. Adrian, seid unser Gast.«
Die Männer nahmen wiederum an der Tafel Platz. Henrike schenkte ihnen ein. Solange sie hier zu tun hatte, würde sie niemand wegschicken. Sie wartete, bis sie sich zugeprostet hatten, dann stellte sie die Frage, die ihr schon lange auf der Zunge lag: »Woher wisst Ihr Herren eigentlich, welchen Weg der Kaiser nehmen wird und was man überhaupt machen muss, wenn ein Kaiser die Stadt besucht? Es war doch so lange keiner hier?« Die Männer lachten.
»Weiber! Gut, dass sie mit Staatsgeschäften nichts zu tun haben!«, sagte Hartwig Vresdorp spöttisch, und Henrike wurde rot. Ihr Vater hingegen nickte bedächtig.
»Oh, glaub mir, dafür gibt es Verantwortliche. Der Kaiser könnte schon lange in Lübeck sein. Aber er lässt sich Zeit, damit hier alles so ist, wie es sein soll. Seit über einer Woche genießt er die Gastfreundschaft des Bischofs von Ratzeburg.«
Johan Perceval drückte die Brust heraus, er schien es gar nicht erwarten zu können, mit seinem Wissen zu glänzen: »Der Kaiser schickt einen Boten. Der Bote sagt dem Stadtschreiber, wann der Kaiser eintreffen wird und wie die Stadt auszusehen hat. Was ein angemessenes Quartier für ihn und sein Gefolge ist und was die Stadt alles springen lassen muss. Denn das ist ein teurer Spaß, ein Kaiserbesuch!«, sagte er.
»Es heißt, Gerhard Dartzow, der dem Kaiser sein Haus zur Verfügung stellen wird, lässt noch einmal alles auf Vordermann bringen und kostbare Tapisserien aufhängen. Die Kosten dafür will er beim Rat geltend machen. Vielleicht sollte ich die Rechnung für Henrikes prächtiges Kleid auch mal beim Rat einreichen, als Sonderausgabe sozusagen.« Konrad Vresdorp blinzelte seine Tochter an.
Alle lachten, und dieses Mal konnte Henrike mitlachen. Adrian sah die junge Frau verschmitzt an. Sicher machte er sich gerade einen Reim darauf, warum Henrike am Hafen so ungewöhnlich
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