Hansetochter
Seeräuberei und der Kaiserbesuch gingen ihr durch den Kopf, und immer wieder trat das Gesicht ihres Gastes vor ihr inneres Auge. Wie lange er wohl bleiben würde? Auf jeden Fall für die Dauer der Festlichkeiten. Welch wichtige Tage vor ihnen lagen! Noch nie war sie auf einem Ratsball gewesen! Sie war zwar schon länger alt genug dafür, aber beim letzten Ball war das Trauerjahr nach dem Tod ihrer Stiefmutter noch nicht vorüber gewesen. Jetzt war es endlich so weit. Wie es aussah, würde sie ihrem zukünftigen Ehemann dort begegnen, vielleicht sogar mit ihm tanzen. Und möglicherweise würde auch Adrian Vanderen sie einmal auffordern? Ihre Haut kribbelte vor Vorfreude, und sie warf sich von einer Seite auf die andere. An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken.
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K onrad Vresdorp blickte zufrieden in die Runde. Alle waren gekommen. Heute saßen die wichtigsten Mitglieder des Rates und der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Lübeck an seinem Tisch, natürlich auch seine Familie und sein Hausgast. Alle waren seinem Ruf gefolgt. Das war ein Beweis für die Achtung, die man ihm entgegenbrachte, und ein gutes Vorzeichen für die Ratswahl an Petri Stuhlfeier, wie das Volk diesen katholischen Gedenktag nannte, im kommenden Jahr. Denn er hatte Pläne, ehrgeizige Pläne. Lange hatte er überlegt, ob er sich für das Amt des Bürgermeisters geeignet fühlte. Vertraute hatten ihm gut zugeredet, und jetzt war er entschlossen, diesen Weg einzuschlagen.
Zuvor musste er nur noch seine Angelegenheiten regeln. Dazu gehörte auch, Henrike zu verheiraten. Es musste ein Mann sein, der einen Teil seiner Geschäfte übernahm, sie aber nicht an sich riss, dem er vertrauen konnte. Je mehr Zeit er selbst im Rathaus verbringen würde, desto weniger konnte er sich um den Handel kümmern. Nicht ohne Grund lebten viele Räte nur noch von dem Geld, das sie irgendwo angelegt hatten, oder von den Erträgen ihres Grundbesitzes. Es gab aber noch etwas anderes, das er in die Wege leiten musste. Auch er musste wieder in den Stand der Ehe treten. Das Trauerjahr war vorüber, und es war notwendig für das Ansehen eines Ratsmannes, ein Eheweib an seiner Seite zu haben.
Seine Magd Gesche beugte sich neben ihm über den Tisch und goss Wasser aus einem kostbaren Aquamanile in eine filigrane Schale. Sie war ein junges, gut gebautes Ding, und er betrachtete wohlwollend die Rundungen ihres Busens, die sich beim Einschenken deutlich abzeichneten. Manche Magd legte es darauf an, ihren Herrn zu verführen, in der Hoffnung, dass er später für ihr Kind aufkommen würde. Er aber ließ sich nicht darauf ein, selbst wenn ihn die Lust arg plagte. So sehr er geschäftliche Winkelzüge liebte, in seinem Haus legte er Wert auf klare Verhältnisse. Außerdem wusste er, dass Gesche eine gottesfürchtige Frau war. Er würde ihr Vertrauen nie ausnutzen.
Mit dem duftenden Wasser begann er sich die Hände zu waschen. Seine Bewegungen brachte, das Kerzenlicht in der silbernen Schale zum Funkeln; und auch sein sonstiges Silberzeug wurde heute benutzt oder war gut sichtbar aufgestellt worden. Mancher Gast hatte seinen Neid kaum verhehlen können, als er beim Eintreten das teure Tafelgeschirr, die zahllosen Lichter und die eigens angeheuerten Spielleute bemerkt hatte. Dass sein Bruder Hartwig auf ihn neidisch war, wusste er längst – obgleich dieser den Vorwurf natürlich entrüstet von sich weisen würde. Aber sogar Johan Percevals Züge hatten für einen winzigen Moment einen missgünstigen Ausdruck angenommen. Dabei war auch er wohlhabend und würde noch dazu in diesen Tagen einen Höhepunkt seines Ansehens erreichen – was er auch jeden wissen ließ. Er würde dem Ideal eines Ritters so nahekommen, wie es einem Kaufmann nur möglich war. Konrad Vresdorp schmunzelte bei dem Gedanken an Percevals Bemühungen, sich über seinen Stand zu erheben. Eigentlich hieß er nämlich Johan Roeseke und kam aus Braunschweig; nach Parzival, dem berühmtesten Abbild eines christlichen Ritters, hatte er sich erst in Lübeck benannt. Nur manchmal, wie neulich bei der Probe, ließ Perceval sich gehen, war er wieder der einfache Braunschweiger Bürger, dem Flüche nicht fremd waren.
Seine Tochter Henrike hatte Konrad Vresdorp schräg gegenüber platziert. Sie lauschte Johan Perceval, gezwungenermaßen, wie alle anderen, denn dieser hatte die Stimme derart laut erhoben, dass einem nichts übrig blieb, als zuzuhören. Es ging um die bedeutsamen Aufgaben, die er in den
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