Hansetochter
herausgeputzt erschienen war. Plötzlich schämte sie sich ein wenig ihrer kindlichen Freude über das schöne Kleid.
»Na, vermutlich wird es sich auch so für Dartzow lohnen, ein Ratssitz im nächsten Jahr dürfte ihm sicher sein«, fügte ihr Vater da ernster hinzu.
Nun hob Hermanus von Osenbrügghe erneut zu sprechen an.
»Am Burgtor werden der Kaiser und die Kaiserin ankommen. In der Gertrudenkapelle werden sie die Reisekleidung ablegen und die kaiserliche Tracht anziehen. Eine Prozession von Geistlichen wird sie begrüßen. Sie werden eine Reliquie vorantragen, denn der Kaiser liebt Reliquien. Wenn dann noch weitere Geistliche eingetroffen sind, wird die Prozession ihren Anfang nehmen. Alle werden sich ihrem Stand nach einreihen und dann zum Dom ziehen. Vor dem Kaiser wird Ratsmann Lange reiten, der an einer Stange die Schlüssel der Stadttore trägt«, sagte er und strich sein silbergraues Haar zurück.
Der in einem so feierlichen Ton Erwähnte lachte.
»Wenn die Schlüssel man nicht wegkommen. Ich soll sie dem Kaiser geben, heißt es. Hauptsache, er gibt sie auch wieder zurück!«
»Der Kaiser kennt das Protokoll genau. Er kann es sich nicht leisten, unsere Stadt als Verbündeten zu verlieren«, hielt Konrad Vresdorp fest.
Simon, der still am Ende des Tisches gesessen hatte, brannte etwas ganz anderes auf der Zunge.
»Wo können wir stehen? Von wo können wir den Kaiser sehen?«, wollte er wissen.
»Das Volk steht an den Straßen und jubelt. Die schönen Jungfrauen auf der einen Seite, die Männer auf der anderen. Also auch du, Simon. So sieht es die Planung vor«, sagte der Vater. Ein Strahlen zog über das Gesicht des Jungen. »Adrian, Ihr könnt auch zusehen. In den Dom dürft Ihr allerdings nicht. Wachen werden dafür sorgen, das nur die besten Familien der Stadt Zutritt haben. Aber zum Ratsball am Abend, das schaffen wir sicher, oder, Freunde? Einen so würdigen Kaufmann aus Brügge, den werden wir wohl hineinschmuggeln?« Konrad Vresdorp hob seinen Krug, die Männer stießen an, nur Hartwig Vresdorp stimmte zurückhaltender ein.
Wenig später löste sich die Runde auf. Die Patrizier wirkten erschöpft von der ungewohnten Anstrengung. Sie schienen es für unter ihrer Würde zu halten, einen Baldachin zu tragen, selbst wenn es im Dienste des Kaisers geschah. Jost legte den Baldachin mit Simons Hilfe zusammen. Henrike zog sich in Richtung Flügelanbau zurück, ebenso wie Adrian Vanderen. Sie hatte den Eindruck, dass die Bewegungen ihres Hausgastes wieder mühevoller geworden waren; die Schulter schmerzte wohl doch mehr, als er zugeben wollte.
»Soll ich nach dem Ratsmedicus schicken lassen, Herr?«, fragte sie besorgt.
»Auf keinen Fall!«, lehnte Adrian brüsk ab.
Henrike schlug die Augen nieder. Sie hatte ihm nicht zu nahe treten wollen. Was ging sie schon sein Zustand an? Aber er hatte sie anscheinend an diesem Tag schon für sich eingenommen, bemerkte sie selbst erstaunt.
Plötzlich ergriff er ihre Hand, als bedauerte er seine harsche Reaktion.
»Es ist wahr, meine Verletzung macht mir zu schaffen, jedoch nicht so sehr, dass ich noch einmal ärztliche Hilfe benötigen würde; etwas Ruhe tut es auch. Habt Dank für Eure Hilfe am heutigen Tag.«
Henrike errötete. Eine derartige Aufrichtigkeit und Freundlichkeit hatte sie nicht erwartet. Für jeden anderen Mann schien es selbstverständlich, dass er eine Frau anherrschen, herumschubsen, wenn nicht gar über sie verfügen durfte. Adrian Vanderen schien anders zu sein. Vielleicht lohnte es sich, ihn besser kennenzulernen.
»Ich habe doch eigentlich gar nichts getan – aber das Wenige gern«, gab sie schüchtern zurück.
Beide mussten lachen, und sie sah bernsteinfarbene Sprenkel in seinen blauen Augen aufblitzen, die sie vorher nicht bemerkt hatte. In diesen Augen könnte ich mich verlieren, dachte sie, und Hitze wallte unversehens in ihr auf. Ihre Finger schienen zu brennen, und sie zog erschrocken die Hand zurück. Nun wirkte auch er verlegen. Sie wünschten sich eine gute Nacht, und Henrike ging den Gang hinunter. Als sie sich noch einmal umdrehte,sah sie, wie er die Hand an seine Schulter gepresst hielt, sein Rücken war schmerzgekrümmt. War es eine gute Idee ihres Vaters gewesen, ihn für den nächsten Tag zu einem Festmahl einzuladen? Oder war im Moment alles zu viel, vor allem, wenn man den bevorstehenden Besuch des Kaisers bedachte?
Später, im Bett, ließen sie die Bilder des Tages nicht zur Ruhe kommen. Die Geschichten von
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