Hansetochter
den geflickten Decken und Laken und nahm ein paar heraus.
»Dein Vater wird es nicht erlauben. Er wird mir die Schuld dafür geben. My wert so bange!«, rief Margarete aus.
Henrike sah echte Besorgnis in dem faltigen Gesicht ihrer Amme. Sie umfasste die Hand der alten Frau, sah ihr fest in die Augen. Es tat ihr leid, sie so in Aufregung versetzt zu haben. Sie wollte doch nur helfen!
»Nein, das wird er nicht. Ich werde ihm sagen, dass es meine Entscheidung war, meine ganz allein.« Sie stemmte sich gegen die Tür.
Die Alte seufzte schwer. »Ich wärme nur schnell Wasser und komme nach«, gab sie sich geschlagen.
Draußen nieselte es noch immer. Im Schein der Fackel konnte Henrike die feinen Schwaden sehen, die vom Wind durch die Straßen getrieben wurden. Der Herbst hatte seine schönen Seiten, aber diese gehörte nicht dazu. Sie sah sich um. Erst dachte Henrike, die Frau sei verschwunden, dann aber entdeckte sie sie im Windschatten.
»Kommt mit, ihr könnt eine Nacht in unserem Stall bleiben.«
Die Frau sah sie befangen an, folgte ihr aber durch den Hinterhof und in den Stall, wo ein Wolfsspitz mit wilder Mähne und sanftem Gemüt an der Kette zurrte und anschlug. Henrike legte ihm die Hand auf die feuchte Schnauze und tätschelt ihn hinter dem Ohr, so wie er es mochte. Die Pferde schnaubten leise. Henrike sah sich um. Wo könnte sich die Frau ein Lager aufschlagen? Hier neben den Schweinen? Oder doch bei den Hühnern? Für einen Moment fragte sie sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, sie hierher zu bringen. Vielleicht hätte sie die Bettlerin zum Armenhaus begleiten und darauf bestehen sollen, dass man sie dort aufnahm. Aber mitten in der Nacht auf die Straße, das schickte sich nicht nur nicht, sondern war auch noch gefährlich. Nur lose Weiber trieben sich des Nachts auf den Straßen herum, anderen konnte leicht von Herumtreibern Gewalt angetan werden.
Die Frau zog die Kapuze vom Kopf, und Henrike sah, dass ihre Wangen im Fackelschein noch hohler aussahen. Vorsichtig löste sie das Tuch von ihrem Hals und bettete den Säugling auf dem Boden. Sein Körper krampfte beim Husten.
»Wie heißt es?«, fragte Henrike und strich mit dem Finger zart über den Flaum der Wange.
»Es ist ein Mädchen, sie heißt Anneke. Mein Mann wollte es so.« Die Frau schniefte und wischte sich grob die hervorschießenden Tränen aus den Augen.
»Euer Mann, wo ist er?«, wollte Henrike wissen.
Die Antwort brach aus der Frau heraus. »Tot ist er. Wir haben gearbeitet, auf einem Landgut. Aber dann geriet der Herr in Not, und wir mussten gehen. In Lübeck gibt es Arbeit, hat mein Mann gesagt. Ich gehe dorthin und schicke euch Geld, hat er gesagt. Einen Teil spare ich, und wenn ich genug habe, hole ich euch nach. Eine Zeit lang ging alles gut. Er schickte Geld. Aber dann kam nichts mehr. Er kam auch nicht zurück. Also bin ich los, hochschwanger. Er würde für uns sorgen, dachte ich. Hauptsache wir sind zusammen, dachte ich. Als ich Lübeck erreichte, war er bereits tot. Ein Fieber hat ihn dahingerafft.«
Henrike hatte konzentriert zugehört und bemerkte erst jetzt Margarete, die mit einem Eimer in der Hand eingetreten war.
Die alte Frau musterte die Bettlerin streng. »Kannst du arbeiten?«, fragte sie.
Die Bettlerin nickte verschüchtert.
»Dann kannst du ein paar Nächte bleiben, du kannst hier im Stall helfen. Wenn du Ärger machst, bist du wieder auf der Straße. Wenn du klaust, rufe ich die Büttel. Und wenn die Herrin sagt, du gehst, gehst du, ohne einen Mucks und ohne etwas mitzunehmen. Klar?«
Henrike wunderte sich über die Bitterkeit in Margaretes Stimme. Hatte sie mit ihrer Vergangenheit zu tun? Was war eigentlich mit ihrer eigenen Familie? Darüber hatte Margarete nie gesprochen. Die alte Magd zog ein kleines Töpfchen mit Fett aus der Tasche und einen Beutel, aus dem es würzig duftete.
»Das Kind braucht Kräuter auf die Brust, sonst geht der Husten nicht weg.« Sie sah Henrike an. »Und Ihr, Jungfer Henrike, geht jetzt besser. Ihr habt nichts im Stall verloren.«
Als Henrike aufstand, sagte die Frau leise: »Mein Name ist übrigens Wobbecke.«
Henrike nickte lächelnd. »Gott schütze dich und dein Kind, Wobbecke.«
Im Haus aßen und tranken die Gäste des Vaters noch immer. In Henrike hingegen machte sich die Müdigkeit wieder breit. Sie würde besser schlafen können, jetzt, wo sie wusste, dass die Frau die Nacht nicht in der Gosse verbringen musste.
5
D er Wind pfiff ums Haus und rüttelte
Weitere Kostenlose Bücher