Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
Vom Netzwerk:
loszuschlagen.
    »Ich musste sie zur Besinnung bringen! Überhaupt: ›Was ist in Euch gefahren‹ muss ich wohl eher Euch fragen? Was maßt Ihr Euch an? Ihr seid ein Fremder, habt in diesem Haus nichts verloren«, gab ihr Onkel kalt zurück.
    An Adrians Schläfe pulsierte eine Ader, doch er sagte ruhig: »Ich genieße das Gastrecht Eures Bruders.«
    Hartwig Vresdorps Blick war eisig. »Jetzt nicht mehr. Ich bin der Vormund für die Kinder und der Verwalter des Erbes, bis sie alt genug sind. Das hat mein Bruder in seinem letzten Willen festgelegt. Und ich entscheide, dass Ihr hier nichts mehr zu suchen habt, Adrian Vanderen. Verlasst umgehend dieses Haus!«
    Henrike bemerkte, wie der fremde Kaufmann die Fäuste ballte.
    »Auf ein Wort, Herr Vresdorp«, forderte er. Widerwillig ging Hartwig Vresdorp ihm in die Schreibkammer des Vaters nach. Ein hitziges Wortgefecht folgte. Schließlich kam Adrian Vanderen wieder heraus, offenkundig wütend bis in die Haarspitzen. Wortlos verschwand er in seiner Kammer. Jetzt rief der Bürgermeister ihren Onkel zu sich.
    »Einen Priester müsst Ihr bestellen, daran geht kein Weg vorbei«, sagte Johan Perceval mit dünner, aber gebieterischer Stimme.
    ~~~
    Sie hatten den Leichnam in der Diele aufgebahrt, und ein Priester aus der Marienkirche war gekommen. Hastig und wenig feierlich hatte er das kleine Öllicht entzündet, das der Seele ihres Vaters den Weg weisen sollte, und die Gebete gesprochen. Bei dem Auftrieb in der Stadt seien auch die Priester stärker gefragt als sonst, hatte er gemeint und seine üppige Entlohnung in seinen Geldbeutel fallen lassen, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
    Unterdes gingen die Festlichkeiten zu Ehren des Kaisers weiter. Henrike konnte es kaum glauben; ihr war, als müsste die ganze Welt mit dem Tod des Vaters innehalten. Zumindest würde ihr Vater jetzt den Weg in den Himmel antreten, denn dorthin würde er gelangen, dessen war sie gewiss. Dort würde er auch endlich ihre Mutter wiedersehen, die er so sehr geliebt hatte.
    Sie tauchte den Lappen in eine Schale mit Wasser, die Simon ihr hinhielt. Zärtlich strich sie über die Stirn ihres Vaters. Hatte er denn gestern kein Gebet vor seinem Abbild des heiligen Christophorus, des Patrons gegen den jähen Tod, verrichtet? Denn dann hätte er gegen unvorbereitetes Sterben gefeit sein müssen! War er gleich tot gewesen, oder hatte er lange gelegen und den Tod kommen sehen? Hatte er um Hilfe gerufen? Warum hatte ihn niemand gehört? Dass er völlig allein im Dreck der Straße gestorben war, war eine grässliche Vorstellung, die ihr sofort wieder die Tränen in die Augen trieb. Aber wer hatte ihn gefunden?
    Die Tür wurde geöffnet, ein Windzug ließ die Kerzen flackern. Es war ihre Tante, in einem hochgeschlossenen dunklen Kleid, die Haare gänzlich unter dem Gebende verborgen. Sie fuhr Henrike mit bebenden Wangen an: »Du hast nicht gewartet? Weißt du denn nicht, was sich gehört? Natürlich nicht!« Ihr Blick blieb auf Henrikes Gesicht hängen, das noch immer von der Ohrfeige gerötet war. Der Anblick schien sie zufriedenzustellen. »Und was macht der Junge hier? Hat er nichts Besseres zu tun?« Sie nahmSimon die Schale ab und reichte sie Telse, die hinter ihr hergeschlichen kam, dann rief sie harsch nach Margarete. Henrike wollte ihre Tante nicht noch mehr gegen sich aufbringen. Sie meinte es sicher gut und hatte nun mal eine schroffe Art.
    »Ich wollte Vater nur bereitmachen für die Beisetzung«, verteidigte Henrike sich. »Alles muss so schnell gehen. Könnt Ihr nicht mit dem Onkel reden, damit Vater eine würdigere Beerdigung erhält, liebe Tante? Diese Eile ist unchristlich, Vater hat sie nicht verdient.« Wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen.
    Tante Ilsebe zog ihre Handschuhe aus, verkrümmte Finger und geschwollene Gelenke kamen zum Vorschein. Am Ringfinger trug sie einen silbernen, verzierten Ring mit einem großen Edelstein, über den der Handschuh nur knapp gepasst haben konnte.
    »Dein Onkel hat es so entschieden, und so wird es gemacht«, sagte sie und massierte ihre Finger. »Und was dein Vater verdient, liegt nicht in unserer Hand. Das erhält er von den himmlischen Heerscharen. Im Fegefeuer wird das Werk eines jeden offenbar werden. Das Feuer wird prüfen, was er taugt. Margarete! Wo bleibt sie denn nur! Telse, schaff sie her! Sie soll mehr Lappen und Wasser bringen.« Als Ilsebe Vresdorp bemerkte, dass Simon sie missbilligend anstarrte, blaffte sie ihn an. »Du bist ja immer noch

Weitere Kostenlose Bücher