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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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konnte sie eine Bewegung erkennen, jemand erhob sich   – Vater! Aber nein, es war ihr Onkel Hartwig. Eine düstere Vorahnung übermannte Henrike. Nichts hielt sie mehr, und sie trat in die Diele. Margarete kam ihr entgegen, tränenüberströmt. Henrike berührte die Alte sacht an der Schulter, ging an ihr vorbei, wie betäubt.
    »Was ist hier los?«, fragte sie, und ihre eigene Stimme erschien ihr plötzlich ganz fremd. Sie konnte den Blick nicht abwenden von dem, was auf den Gotlandplatten lag. Es war groß und massig, ein Tuch war darüber gebreitet. Die Angst wühlte in ihrem Magen, Kälte breitete sich in ihrem Körper aus. Fragend sah sie ihren Onkel an.
    Hartwig Vresdorp mied ihren Blick, als er sagte: »Mein Bruder   ... dein Vater   ... Er ist tot.«

6
    H enrike schüttelte langsam den Kopf. »Das ist unmöglich. Wir haben Konfekt gegessen. Geredet. Er stand an der Treppe, als ich mich von ihm verabschiedete. Er feiert noch, bestimmt.«
    Keiner sagte etwas.
    Sie wandte sich an Adrian Vanderen. »Ihr und mein Vater wolltet feiern, das wolltet Ihr doch? Aber wieso seid Ihr hier? Wo habt Ihr ihn gelassen?« Ihre Worte klangen vorwurfsvoll, dabei war ihr Vater doch kein Kind und konnte auf sich selbst aufpassen, außerdem stand es ihr nicht zu, so mit dem Hausgast zu sprechen.
    Doch statt wütend zu werden, sah Adrian Vanderen sie nur mitleidig an und nahm für einen kurzen Moment ihre Hand. »Es tut mir sehr leid um Euren Vater, Jungfer Henrike.«
    Ihr Blick flackerte von Adrian zu ihrem Onkel. »Ihr wisst es doch auch. Er kann kein Fest auslassen. Gleich wird er kommen«, sagte sie fast flehend.
    »Hör auf, dir etwas vorzumachen!« Ein Satz wie ein Schlag. Hartwig Vresdorp zog sie zu der Erhebung auf den Fliesen. Henrike wich zurück. Ihr Onkel stieß sie grob zu Boden und riss eine Ecke des Tuches hoch, und plötzlich starrte Henrike in das Gesicht ihres Vaters. Es war aufgequollen, der Mund schimmerte blau-rot. Henrikes Herz pumpte. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Das konnte nicht, das durfte nicht wahr sein! Wie konnte er tot sein, wenn sie ihn doch so liebte! Sie führte die Hand zu seiner Wange   – wie kalt und schlaff sie war! Sie umfasste seine Schultern, wollte ihn hochreißen, aber er war schwer, so schwer.
    »Er ist tot, begreif das doch!«, fuhr ihr Onkel sie noch einmal so heftig an, dass sie seinen sauren, weingeschwängerten Atem riechen konnte. Henrike saß da, die Hände auf ihren Knien ineinander gekrampft, während Hartwig Vresdorp die Leiche wieder bedeckte. Für einen Moment war nur ihr leises Weinen zu hören.
    »Wer ist tot?«
    Die Stimme drang wie aus weiter Ferne an ihr Ohr. Henrike drehte sich um. Simon! Ihr Bruder stand in der Tür. Dürr staksten seine Arme und Beine aus dem Hemd, seine Augen wirkten riesengroß, die Ohren lugten zwischen den glatten Haaren hervor.
    Henrike lief ihm entgegen und umarmte ihn. »Vater! Unser Vater ist tot«, schluchzte sie.
    Simon stand stocksteif. »Was ist geschehen? Wurde er überfallen?«, hörte sie ihn fragen.
    Nun schaltete sich wieder Onkel Hartwig ein: »Nein. Der Schlag hat ihn getroffen. Er wurde auf der Straße gefunden. Ist einfach zusammengebrochen.«
    Sie vernahm Geräusche, fremde Stimmen in der Diele, und sah auf. Johan Perceval war eingetreten, gemeinsam mit Jost und dem Ratsmedicus, der die Leiche des Vaters in Augenschein nahm. Leise begannen die Männer sich mit ihrem Onkel zu unterhalten, und binnen Kurzem schienen sie sich einig zu sein.
    »... müssen den Todesfall geheimhalten   ...«
    »... darf die Festlichkeiten nicht stören   ...«
    »... in aller Stille unter die Erde bringen   ...«
    »... und das so bald wie möglich   ...«
    Henrike brauste auf, sie ließ Simon los und schoss auf die Männer zu.
    »Der Besuch des Kaisers, ist das alles, woran Ihr denkt?! Vater war ein angesehener Bürger dieser Stadt. Ihm gebührt ein angemessenes Begräbnis! Wie könnt ihr nur darüber nachdenken,ihm dieses zu verweigern! Noch nicht mal einen Priester habt Ihr gerufen, Onkel!«
    Hartwig Vresdorps Schlag traf sie hart ins Gesicht, so dass Henrike taumelte und fiel. Ihre Wange brannte. Sie schmeckte Blut. Schon stürzten Adrian, Simon und Jost auf sie zu. Adrian hatte sie zuerst erreicht und half ihr behutsam hoch. Schützend stellte er sich zwischen Henrike und ihren Onkel, bevor er mit harter Stimme fragte: »Was ist in Euch gefahren, Hartwig Vresdorp?« Rotger fand sich neben seinem Herrn ein, bereit,

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