Hansetochter
Handelspartner ebenso wie an seiner Kreditwürdigkeit und seiner Kleidung. Wenn man ihn nach diesem Essen vor ihm auf dem Tisch beurteilen würde, müsste er sich wahrlich Gedanken um seine Zukunft machen.
»Liv, schick Cord zu mir.«
Der Junge lief los und brachte den Koch herein. Cords Blick fiel sofort auf die noch immer gut gefüllten Teller. Nervös rieb er mit der Hand über seine Glatze.
»Hat es Euch nicht geschmeckt, Herr?« Er klang besorgt. Auf einem Schiff hielt er eine zwanzigköpfige Mannschaft spielend im Zaum, aber hier schien er nicht in seinem Element zu sein, dachte Adrian.
»Du bist ein guter Koch, Cord. Der beste, den ich mir vorstellen kann – auf einem Schiff. Aber hier an Land kommst du mir vor wie ein Fisch auf dem Trockenen.«
Cord verteidigte sich zaghaft, konnte aber eine gewisse Ratlosigkeit nicht verhehlen. »Ich habe nur die besten Zutaten genommen, aber die Herdflamme ... der neue Kessel ... es ist eben alles anders.«
Adrian gebot ihm Einhalt. »Schon gut. Du wirst morgen mit Liv losgehen und uns eine Köchin suchen. Eine Köchin, die sich auf die Führung eines Kaufmannshaushaltes versteht.«
Der große Mann knüllte nervös seine Schürze, die immerhin sauber war, wie Adrian bemerkte. »Und ich ... was soll ich ... was wird mit mir? Mit meinem steifen Bein kann ich ja wohl kaum noch auf Eurem Schiff arbeiten, Herr.«
»Du wirst die Köchin unterstützen, vielleicht lernst du ja noch was«, sagte Adrian und fügte, als er Cords entsetzten Blick bemerkte, versöhnlich hinzu: »Und sicher werde ich auch in anderen Dingen deine Hilfe benötigen.«
Adrian zog sich in den Raum zurück, den er als Schreibstube hatte herrichten lassen. Es war wenig verwunderlich, dass Bruno Diercksen diese Räume nicht mehr selbst benutzte, denn es war Einiges an ihnen zu tun. Der Boden war ausgetreten, die Deckenbalken mit Holzwurmlöchern gesprenkelt, Feuchtigkeit hatte die unteren Enden der Holzwände angefressen. Glücklicherweise hatte man ihm, seit er bei dem Turnier erwähnt hatte, dass er Grundeigentum erwerben wolle, einige interessante Häuser angeboten. Vielleicht würde er sich noch in dieser Woche für eines entscheiden. Er schenkte sich ein Glas Kirschtrank ein, einen Wein, der mit Ingwer, Zucker und eingetrocknetem Kirschmus gewürzt war, und stellte mit steifen Fingern seine Figuren auf das Schachbrett. Obgleich die Wärme aus der Küche die Schreibstube heizte, fröstelte er. Es war eine feuchte Kälte, die durch Lübecks Straßen zog, ein klammer Wind, der vom Meer kam und einem bis ins Mark drang. Er kannte diese Art Kälte aus Brügge, und er hasste sie. Morgen würde er nachfragen, ob sein neuer Mantel endlich fertig war, es war höchste Zeit.
Er rieb seine Finger, legte Schreibfeder und Papier bereit. Er dachte an Brügge, wo er sich mit seinen Schwestern, seinem Bruder Lambert und dessen Familie ein Haus teilte. Oft saß er abends mit Lambert vor dem prasselnden Kaminfeuer, und stets war das Lachen der Kinder zu hören. Vier Stück waren es inzwischen. Der Erstgeborene Joris, die Zwillinge Cornelis und Angniete und der Jüngste, Gossin. Alle wohlgeraten und wissbegierig. Lambert und seine Frau Martine liebten sie alle, ob groß oder klein. Auch wenn sich bei Martine in letzter Zeit oft die Erschöpfung gezeigt hatte, die so ein großer Haushalt mit sich brachte. Für Lambert war es ebenfalls nicht immer leicht; viele Kinder kosteten viel Geld, und wenn der Handel manchmal nicht den erhofften Gewinn einbrachte, musste der Gürtel enger geschnallt werden. Und da waren ja auch noch ihre drei Schwestern, für die Ehemänner gesucht und Mitgiften bereitgestellt werden mussten. Nachdenklich drehte er die fein geschnitzte Figur der Königin zwischen Zeigefinger und Daumen. Allein in Lübeck und ohne die hektische Betriebsamkeit des Geschäfts spürte er die Sehnsucht nach einer eigenen Familie immer stärker. Aber noch hatte er die Richtige nicht gefunden.
Wenn jemand ihm seine Tochter zur Frau angeboten hatte, war es oft aus einer geschäftlichen Notlage heraus geschehen,das hatten zumindest seine Nachforschungen ergeben. Dabei wollte er sich durch eine Heirat verbessern, wollte Zugang zu den höchsten Kreisen der Stadt erhalten. Inzwischen hatte er die wichtigsten Männer Lübecks kennengelernt, und die meisten waren ihm freundlich begegnet. Einige hatten ihm ihre Ablehnung aber auch ganz unverblümt gezeigt, fremde Kaufleute waren für sie schlicht eine
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