Hansetochter
sich wohl täglich rasieren ließ, bevor der Bart so genau gezogen war?, fragte sich Adrian. Ihm waren Männer, die derart viel Zeit auf ihr Aussehen verwendeten, immer ein wenig suspekt.
»Davon weiß ich nichts«, sagte der junge Vresdorp knapp.
War er wirklich so unwissend, oder wollte er ihn abwimmeln? Adrian fasste ihn fest ins Auge.
»Dann seid Ihr wohl schlecht informiert. Am Hafen spricht man über nichts anderes als über die verlorengegangen Schiffe.«
Er war am Hafen gewesen, die Seeleute wussten immer am schnellsten und besten über das Schicksal der Schiffe Bescheid. Nikolas Vresdorp rieb nun über seine Wunde. Musste er seine Hände immer im Gesicht haben? Aber die Ränder der Wunde waren rot, wie entzündet, vermutlich juckte sie. Adrian fragte sich, wo er sie sich wohl zugezogen hatte.
»Ihr solltet nicht so viel auf Gerüchte geben. Kaum weht ein Lüftchen, gehen angeblich ganze Handelsflotten unter, und eine Hungersnot droht. Das Volk übertreibt eben gern.«
Jetzt war Adrians Geduld am Ende. »Holt bitte Euren Vater her. Wir wollen doch mal sehen, ob er mehr vom Geschäft versteht als Ihr und seiner Pflicht nachkommt, über den Verbleib der Schiffe auf dem Laufenden zu sein.«
Hart fuhr Nikolas über die hellroten Wundränder, ein Blutstropfen schien auf.
»Wie Ihr wünscht«, sagte er grimmig. Als er an Simon vorbeiging, gab er dem Jungen mit der Faust eine Kopfnuss und schubste ihn hinaus. »Hast du nichts zu tun? Hau ab, zum Hafen. Um dich kümmere ich mich später.«
Vresdorp ging die Treppen hinauf, Simon verließ den Raum in eine andere Richtung. Adrian sah sich in der Diele um. Die Wandteppiche und die Silberleuchter waren verschwunden, an der Wand hing jetzt ein großes Kreuz.
»Herr Vanderen!« Ein Wispern. Simon stand in der Tür zum Flur. Adrian ging zu ihm.
»Wie geht es dir, Simon?«, fragte er leise.
»Ich komme klar«, sagte der Junge mit näselnder Stimme, er musste sehr verschnupft sein. »Bin oft am Hafen oder im Kaufkeller. Helfe die Schiffe und die Waren zu kontrollieren. Stehe herum. Es ist, als ob sie mich nicht im Haus haben wollen. ›Geh hierhin, Simon! Geh dahin! Mach dies, mach das.‹ Koplude sin Loplude, sagt man das nicht?«
Er nieste heftig. Kaufleute sind Laufleute, sind immer geschäftig unterwegs, ja, das sagte man im Süden des Landes auch, stimmte Adrian zu. Über ihnen waren nun Schritte zu hören.
»Geht das immer so zu mit Nikolas Vresdorp?«, wollte er wissen.
Die Stimme des Jungen klang niedergeschlagen. »Sie sind hier eingezogen. Meinen, dass der Haushalt so besser zu führen ist. Manches kommt mir nicht richtig vor. Und wenn ich dann etwas sage ...« Die Treppe über ihnen knarzte. Gleich würden die Männer hier sein. »Aber ich lasse mich nicht unterkriegen!« Simon klang kämpferisch.
Eine Frage brannte Adrian noch unter den Nägeln. Er hatte Henrike schon länger nicht mehr gesehen, auch beim Kirchgang nicht.
»Und deine Schwester?«
»Sie haben sie weggeschickt. An die See. Dabei sollte sie hier sein, bei mir!«
Die Schritte näherten sich schnell. Simon ließ die Tür bis auf einen Spalt zufallen. Er wollte eine weitere Auseinandersetzung vermeiden. Adrian konnte es ihm nicht verdenken.
»Wenn du es nicht mehr aushältst, komm zu mir. Ich kann einen guten Lehrjungen gebrauchen«, sagte er noch.
Im selben Moment traten Hartwig und Nikolas Vresdorp ein. Beide trugen mürrische Mienen zur Schau und vermieden es, einander anzusehen. Adrian lehnte sich mit gefalteten Händen an die Wand und betrachtete sinnierend das Kreuz.
»Mit wem redet Ihr?«, fragte Nikolas Vresdorp misstrauisch.
»Das Kreuz unseres Herrn hat mich zu einem Gebet eingeladen«, sagte Adrian. Nikolas Vresdorp schien ihm nicht zu glauben. Er ging an ihm vorbei und riss die Tür auf, an der Simon eben noch gestanden hatte, doch der Gang war leer. Adrian beachtete ihn gar nicht, sondern begrüßte stattdessen Hartwig Vresdorp.
Dieser sparte sich die Höflichkeiten und kam gleich zur Sache. »Es stimmt, ich habe ein Schiff verloren. Die Männer konnten sich retten, aber die Gotthilf samt Ware ist dahin«, sagte er.
Adrian fiel auf, dass Hartwig Vresdorps Kleidung neu zu sein schien. Sie war zwar schlicht geschnitten, aber an feinen Stoffen hatte er nicht gespart.
»Warum wusste Euer Sohn nicht davon?«, fragte Adrian nach.
Hartwig Vresdorp warf Nikolas einen abschätzigen Blick zu. »Bin ich verantwortlich für dieses Unternehmen oder er? Außerdem habe ich
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