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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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erreichten schließlich das Meer. Es war ein merkwürdig stiller Ort, da das Wäldchen auf der einen Seite und die langsam ansteigende Küste auf der anderen den Wind abhielten. Am Fuß der Steilküste lagen Felsen übereinandergeschichtet, als ob ein Riese mit ihnen gespielt hätte. Erst auf den zweiten Blick erkannte Henrike die verwitterten Holzkreuze daneben. Die Knechte schichteten trockene Äste zu einem Lagerfeuer, das bald hoch in den inzwischen nachtblauen Himmel loderte. Das Gesinde versammelte sich um das Feuer, und Asta begann mit ihrer warmen, kehligen Stimme zu singen. Die meisten ließen sich nun auf die Knie sinken und beteten, andere legten schlicht die Hände zusammen. Was hatte das alles zu bedeuten? In der Stadt hatten sie diesen Tag stets anders begangen.
    Als der Gesang verklungen war, holten sie sich etwas Grün vom Karren, breiteten es andächtig über die Felsen oder hängten es an die Kreuze. Henrike nahm auch einen Ast Tannengrün, trat aber zu Asta, die ein Windlicht vor einem Kreuz aufstellte und mit einem Kienspan entzündete. Sasse stand hinter ihr und leuchtete ihr mit einer Fackel.
    »Sind das heidnische Bräuche? Sind die Menschen, die für dich arbeiten, Heiden?«, fragte Henrike wissbegierig.
    Asta betrachtete sie prüfend. »Du siehst sie doch. Beten sie nicht? Wie können sie dann Heiden sein?«
    Henrike dachte einen Moment nach. »Ich kenne ihre Bräuche und Lieder nicht. An Allerseelen werden die Gräber gesegnet. Aber ich sehe keinen Priester.«
    Astas Ton war heftig, als sie antwortete. »Du klingst schon wie deine Tante! Dabei wurden die sogenannten Heiden schon vor langer Zeit unter das Kreuz gezwungen! Aber gut: Die Pfaffen haben in den größeren Orten genug zu tun. Da sind reiche Bürger, die sie für ihre Gebete bezahlen, und nicht nur einfache Bauern. Keine Angst, morgen werden wir den Gottesdienst in Travemünde besuchen, dann kannst du in der Sankt Lorenz-Kirche beten   – und nicht nur auf diesem Gräberfeld.«
    Henrike war über den Vergleich mit ihrer Tante pikiert. Sie wollte sich erklären, doch Asta machte eine ausladende Handbewegung und fügte hinzu: »Viele von ihnen sind die Nachfahren der slawischen Wagrier, die aus dem Osten hierherkamen. Aber schon ihre Eltern und Großeltern haben hier gelebt. Seit Jahrhunderten wurden Menschen an diesem Ort bestattet. Sie pflegen den Glauben ebenso wie ihre alten Bräuche. Sollen sie etwa verleugnen, was ihnen einst etwas bedeutet hat?«
    »Erstaunlich, was du alles weißt und auch bereitwillig erzählst. Über unsere Familiengeschichte verlierst du hingegen kein Wort. Vaters Tod scheint dir überhaupt nichts auszumachen«, brauste Henrike auf. Zu lange hatte sie Astas Schweigen inzwischen ertragen müssen.
    Asta bürstete ruhig die Nadeln eines Tannenzweiges gegen den Strich. »Du irrst, Henrike. Dein Vater ist es, für den ich ein Licht entzünde. Ich werde für seinen Geist auch eine Gabe auf die Türschwelle stellen.«
    Überrascht sah Henrike ihre Tante an. Hatte sie sich so in Asta geirrt?
    »Ich hatte den Eindruck, er ist dir gleichgültig«, entgegnete sie zögernd.
    »Das ist nicht der Fall. Aber dein Vater und ich   – das ist eine lange Geschichte«, wich Asta aus.
    »Dann erzähle mir diese Geschichte doch! Bitte. Erzähle mir von Vater.«
    »Ich werde sie dir zu gegebener Zeit erzählen, aber nicht jetzt«, sagte Asta und schickte sich an, zu ihrem Gesinde zu gehen.
    Henrike wollte sie aufhalten, wagte jedoch nicht, nach ihrem Arm zu greifen. Sie hätte ihre Tante nicht so anfahren dürfen,dachte sie beschämt. Umso mehr musste sie jetzt zeigen, dass sie sich beherrschen konnte. Doch es fiel ihr schwer. Unbedingt wollte sie Asta zum Sprechen bringen.
    »Ist es nicht so, dass du durch den Tod meines Vaters in Schwierigkeiten gerätst? Ihm hat das Gut doch gehört, oder? Und dass Hartwig dich schalten und walten lässt wie bisher, ist wenig wahrscheinlich, nicht wahr?«, sagte sie, während sie ihrer Tante hastig folgte.
    Asta wandte sich zu ihr um und musterte sie eingehend. »Du bist ein kluges Kind, Henrike. Deshalb solltest du versuchen, nicht denselben Fehler zu machen wie dein Vater.«
    Henrike riss die Augen auf. Was meinte Asta damit? »Was hat er denn deiner Ansicht nach falsch gemacht?«, fragte sie unsicher.
    »Er hat nicht wahrhaben wollen, dass man manchmal kämpfen muss, auch gegen die, die einem nahestehen.«
    Damit wandte Asta ihr den Rücken zu und gesellte sich mit Sasse zu dem Gesinde.

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