Hansetochter
Vresdorp ist der Vormund der beiden. Er hat es bestimmt.« Ein Satz, mehr ausgespien als ausgesprochen.
Astas Stimme blieb sanft. »Er kann nicht über das Gut bestimmen. Er hat keinen Einfluss auf die Verwaltung des Guts. Setzt er sein Vorhaben widerrechtlich durch, werde ich ihn vor dem Lübecker Rat anklagen. Die Testamentsvollstrecker Jacob Plescow und Bruno Diercksen werden wohl zu handeln wissen.« Sie stellte ihren nackten Fuß auf die Briefrolle und trat sie in den Dreck. Dietrich Grapengeter knurrte vor unterdrückter Wut, doch Asta setzte noch einmal nach: »Das Recht ist auf meiner Seite. Wenn Ihr dagegen handelt, werdet Ihr im Kerker landen. Und nun verschwindet, bevor sich noch ein Messer verirrt.«
Die Knechte rückten näher, einige hielten scharfe Schlachtermesser in den blutbeschmierten Händen. Der Mann trat zurück, kletterte wütend auf den Pferderücken und riss sein Ross herum. »Ich komme wieder. Aber nicht allein!«, rief er, bevor er davongaloppierte.
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Obgleich die Arbeit des Tages auf das Beste erledigt war und sich die Tafel vor herzhaften Speisen fast bog, war die Stimmung gedämpft. Jedem schien die Drohung des Mannes noch in den Ohren zu klingen. Erst als Asta das Tischgebet sprach, ihr Gesinde zum Zugreifen aufforderte und selbst am kräftigsten zulangte, hellten sich die Gesichter auf. Wenn die Herrin ohne Sorgen aß, konnten sie es auch. Schließlich begann bald die Fastenzeit vor dem Weihnachtsfest. Nach dem Mahl wurden Geschichten erzählt und gesungen.
»Komm, Henrike, setz dich mit mir ans Feuer«, bat Asta ihre Nichte. Henrike sah nach Katrine, die gebannt der Viehmutter Maria lauschte und sich wohlzufühlen schien, dann erst kam sie der Aufforderung nach. Asta stellte Walnüsse neben sich, nahmzwei in eine Hand und presste sie fest zusammen. Anschließend reichte sie Henrike die geknackte Nuss. Die junge Frau pulte, so gut es mit den langsam verheilenden Händen möglich war, die Frucht heraus. Immer wieder sah sie vor sich, wie seelenruhig sich die zarte Frau gegen Dietrich Grapengeter gestellt hatte.
»Woher wusstest du, was Vater in seinem letzten Willen verfügt hat?«, fragte sie.
Asta knackte eine weitere Nuss. »Dein Vater hat mir einen Entwurf gezeigt. Er ahnte, was nach einem verfrühten Tod auf mich zukommen könnte«, sagte sie.
Henrike kam Bruder Detmar in den Sinn. Mors certa, hora incerta, der Tod ist sicher, nur die Stunde ist ungewiss. Ihr Vater war sich nur allzu bewusst gewesen, dass jeder Tag sein letzter sein konnte, das bewies sein Verhalten auch in diesem Fall.
Asta nahm ihre Hand. »Dein Vater und ich, wir kannten uns gut. Aber um mein Verhalten zu verstehen, musst du die ganze Geschichte kennen.«
Henrike warf die Walnussschale ins Feuer. Dieses Mal würde sie nicht um den Bericht betteln. Aber das war auch nicht nötig. Nach einigen Augenblicken der Stille begann Asta zu singen, und ihre Stimme zitterte dabei.
»Nach Zentnern wogen die Goten das Gold,
zum Spiel dienten die edelsten Steine.
Die Frauen spannen mit Spindeln von Gold,
aus silbernen Trögen fraßen die Schweine.«
Die letzten Töne verklangen heiser, Asta schluckte schwer. »Schon lange wurde Gotland um seinen Reichtum beneidet, auch, wenn es dort nicht so zuging wie in dem alten Lied beschrieben. Doch auch im Unglücksjahr 1361 spielte der sagenhafte Reichtum der Insel eine Rolle. Boten hatten gemeldet, dass König Waldemar und seine Truppen herannahten. Jeder Mann nahm Harnisch und Spieß von der Wand und machte sich für die Verteidigung seiner Heimat bereit. Jede Frau sicherte ihr Heim,versuchte Kinder und Gesinde in Sicherheit zu bringen. Meine Schwester Clara und dein Vater wollten fliehen. Wir stritten. Ich machte ihm Vorwürfe. ›Willst du deine Heimat kampflos aufgeben?‹, fragte ich ihn. Ich bekniete meine Schwester, bei uns zu bleiben, bis auch zwischen uns böse Worte fielen. Denn sie stand vorbehaltlos zu ihrem Mann. Ich glaube, dein Vater hatte Angst. Vor den Kämpfen. Vor dem Tod. Auch um meine Schwester und um dich. Heute weiß ich, dass ich ihm besser hätte zuhören sollen.« Sie starrte in das Feuer, ließ die Nüsse leise klackernd gedankenverloren durch ihre Finger gleiten.
»Unsere Männer wurden einfach überrannt. Zwei Tage kämpften sie. Immer näher wurden sie an die Stadtmauern Wisbys gedrängt. Sie waren hoffnungslos unterlegen, die meisten waren doch nur Bauern. Wir wollten sie einlassen, sie hinter die schützende Mauer retten, doch das Tor
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