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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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Gotland, das war die Heimat ihrer Kindheit und Jugend gewesen, dort hatte sie die schönste Zeit ihres Lebens verbracht. Sie dachte daran, wie sie als Kind mit ihrer Schwester durch die weiten Kiefernwälder Gotlands geritten war. Dachte an den Rosenbusch, der am Haus ihrer Eltern bis in den Dezember hinein geblüht hatte, sah die wilden Klippen und die Zauberhügel der Altvorderen vor sich. Sie war sich sicher gewesen, dass sie nie dorthin zurückkehren wollte, um ihre Wunden nicht wieder aufzureißen. Aber heute zweifelte sie an diesem Entschluss, wie sie manche ihrer Entscheidungen in Frage stellte.
    Etwas knackte hinter ihr, Asta sah sich um. Sasse, ihr treuer Knecht, hatte das kleine Feuer entzündet. Nach den Ereignissen der letzten Wochen wäre es zu risikoreich gewesen, allein hierherzukommen. Sasse würde sie schützen, bis zuletzt, das wusste sie. Asta nahm dünne Äste auf und brach sie, um auch vor dem Grabhügel ein Licht leuchten zu lassen. Schon bald würden sie wieder hierherkommen, um den kürzesten Tag des Jahres zu feiern. Aber das war etwas anderes, dann würden die Menschen sie begleiten, die ihr anvertraut waren, die unter ihrem Schutz standen. Dann wäre sie die Gutsherrin Asta, die im Ruf stand, streng, aber gerecht zu sein und ihren Hof zu führen wie ein Mann. Lange hatte sie darum kämpfen müssen, dass die Menschen akzeptierten, dass sie als Witwe diesen Hof führte. Konrad Vresdorp hatte sie dabei vorbehaltlos unterstützt, doch jetzt standsie ohne Fürsprecher da. Auch deshalb sollten sie nach Lübeck aufbrechen, sobald es die Witterung zuließ.
    Mit einem brennenden Ast von Sasses Feuer entzündete sie ihren kleinen Reisighaufen. Der Schnee machte ihre bloßen Füße gefühllos, lange würden sie nicht mehr am Strand bleiben können, man würde sie bald auf dem Hof vermissen. Als sie losgeritten waren, hatten Henrike und Katrine in der Stube gesessen. Ihre Nichte hatte dem Mädchen die Garne für einen neuen Gürtel gereicht, hatte aus Lübeck erzählt. Sie war glücklich darüber, dass die beiden Freundinnen geworden waren. Der Zustand des Mädchens machte ihr noch immer Sorgen. Obgleich sie Katrine nach dem Überfall ihre bewährten Kräuter verabreicht hatte, war ihre Blutung ausgeblieben. Sollte Gott es wirklich wollen, dass sie das Kind einer Notzucht empfing? Das konnte, das durfte nicht sein! Hatte sie womöglich auf verschlungenen Wegen eine Mitschuld daran?
    »Gottverflucht!«, schrie sie zornig und verzweifelt in den Himmel. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, warm und schwer, und sie ließ ihre Wange darauf sinken.
    »Mach dir wegen diesem Grapengeter keine Sorgen. Wenn er mit seinen Leuten kommt, werden wir ihm einen schönen Empfang bereiten«, sagte Sasse rau.
    Asta lehnte sich an ihn, spürte seine Stärke, die sie getragen, seine Kraft, die sie gestützt hatte. »Das ist es nicht, an den Schuft habe ich gar nicht gedacht. Es sind meine eigenen Verfehlungen, die mich quälen.«
    Er schlang seinen Arm um sie, hielt sie ganz fest. »Du musst dir keine Vorwürfe machen. Du warst gezwungen, so zu handeln.«
    Nun konnte Asta ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, versuchte es auch gar nicht. Wie lange hatte sie schon nicht mehr weinen können! Wie viel war in den letzten Monaten in ihr aufgebrochen!
    Das kleine Feuer vor dem Steingrab verlosch. Es war Zeit, zurückzureiten.
    »Nein, ich war nicht gezwungen«, sagte sie leise in die Nacht hinein. »Ich hätte anders handeln können, anders handeln müssen.«
    »Willst du es ihr sagen?«
    Sie zog die Schultern hoch, unschlüssig. »Ich glaube nicht. Nicht jetzt, zumindest. Sie liebte ihre Eltern sehr. Sie wird mich hassen.«
    Sasse drehte sie zu sich herum. Sie sah das Mondlicht auf seinen Gesichtszügen und den warmen Schein des Lagerfeuers.
    »Sie wird dich lieben. Wie alle dich lieben, die das Glück haben, dich kennenzulernen.«
    Asta spürte förmlich, wie Sasse mit diesen Worten den harten Panzer in ihrem Herzen einriss. Ohne zu merken, was sie tat, schlang sie ihre Arme um ihn, zog ihn zu sich heran und versank in einem durstigen, leidenschaftlichen Kuss mit ihm. Lange vergessene Gefühle stiegen in ihr auf, und sie ließ sich von ihnen hinwegtragen, bis auch das letzte Glimmen des Lagerfeuers verlosch.

12
    Lübeck, Dezember 1375
    D er Ratskeller war gut gefüllt. Es war ein schmuckloses Gewölbe, von kurzen, derben Pfeilern getragen. In einer Nische dröhnten die Pauken und Trompeten der Ratsspielleute, in anderen

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