Hansetochter
schaute ein schmächtiger Mann hinter einem Warenstapel hervor, den Arm voller Pelze.
»Amelius?«, fragte Adrian überrascht, als er den Kaufmannsgehilfen erkannte, der mit ihm von Brügge nach Lübeck gereist war. Der junge Mann legte die Pelze auf einem Warenstapel ab und begrüßte die Ankömmlinge ehrerbietig.
»Herr Vanderen sucht Pelzwerk. Eure Herrin hat doch eineausgezeichnete Auswahl aus Russland bekommen, oder?«, brachte Hermanus von Osenbrügghe ihr Anliegen hervor.
»Das ist richtig. Wiesel und Hermelin, Otterfelle und Bärenfelle, Luchs-, Fuchs- und Lammfelle.«
»Sommerkleider oder Winterpelze?«, wollte Adrian wissen. Der Winterpelz war völlig ausgewachsen und dicht, während die Tiere im Sommer ein kurzes, glatt anliegendes Fell hatten.
»Sowohl als auch. Wartet, Herr Vanderen, ich zeige Euch eine Auswahl.«
Während Amelius Pelze heranschaffte, erklärte Hermanus von Osenbrügghe: »Seine Herrin Tale von Bardewich ist eine alte Bekannte von mir. Sie beteiligt sich mit ihrem Geld an vielen Handelsgeschäften, tritt jedoch selten offen als Käufer oder Verkäufer auf.«
Amelius breitete die Pelze vor ihnen aus und Adrian prüfte sie ausgiebig. Sie waren ausnahmslos von bester Qualität.
Für den Abschluss des Geschäftes gingen sie in die Schreibstube. Diese war mit den Zeugnissen eines reichen Kaufmannslebens geschmückt, überall lagen und standen Gegenstände aus fernen Ländern. Am Tisch saß eine hochgewachsene alte Dame und notierte etwas in ihrem Handelsbuch. Sie trug eine schlichte schwarze Tracht, die unauffällig und doch edel war. Als sie eintraten, hob sie ein Augenglas. Nur selten hatte Adrian eine dieser neuartigen Sehhilfen bei Kaufleuten gesehen. Als sie erfuhr, wer er war, begrüßte sie ihn so aufgeräumt, als würde sie ihn kennen.
»Ich freue mich sehr, Euch kennenzulernen. Endlich kann ich Euch dafür danken, dass Ihr Amelius auf dem Schiff das Leben gerettet habt«, sagte Tale von Bardewich.
»Das hat Amelius Euch berichtet? Es war nicht der Rede wert. Hat er Euch denn auch erzählt, dass er mir das Leben gerettet hat?«
Die Dame verneinte überrascht. Adrian beschrieb ihr den Überfall in allen Einzelheiten, wobei er Amelius’ Einsatz besonders hervorhob. Aufmerksam hörte sie zu, der Kaufmannsgehilfe neben ihr wurde rot und röter.
»Und nun wollt Ihr meine Pelze kaufen?« fragte sie, als er geendet hatte, und schenkte ihnen allen gewürzten Wein ein. Adrian bejahte, und sie begannen zu feilschen. Es zeigte sich, dass Tale von Bardewich eine gewiefte Geschäftsfrau war, die sich genau auskannte. Dennoch wurden sie sich einig; für Hermanus von Osenbrügghe, der dem Wortwechsel gelauscht hatte, wurde eine Vermittlungsgebühr vereinbart.
Als sie das Haus verließen, fühlte Adrian sich erleichtert. Nun würde er Lambert doch die versprochenen Pelze schicken können. Auf dem Weg am Hafen entlang sagte Hermanus von Osenbrügghe: »Seht Ihr, unser Lübeck ist doch gar nicht so schlecht, wie es manche glauben machen.« Adrians Blick war an der schneegekrönten Stadtmauer hängengeblieben. Nun sah er prüfend in den Himmel. Diese dunkelgrauen Wolken würden neuen Schnee bringen. Vor dem Geburtsfest des Herrn würde er die Pelze kaum zu Lambert schicken können, aber nach dem Weihnachtsfest würde es auch noch früh genug sein. Wichtig war nur, dass die Waren rechtzeitig vor der großen Messe in Brügge eintrafen, und die fand alljährlich an Ostern statt.
»Das weiß ich wohl, deshalb bin ich ja hergekommen. Gute Leute kann man überall finden. Doch auch Konkurrenten gibt es überall«, sagte Adrian.
»Es ist auch die politische Unsicherheit, die manche dazu bringt, Fremden gegenüber skeptisch zu sein.«
»Was hört man von den Verhandlungen über die dänische Thronfolge?«, wollte Adrian wissen.
»Beide Parteien versuchen, den dänischen Rat hinter sich zu bringen. Viele Kaufleute leihen den Norwegern oder den Mecklenburgern Geld für ihre politischen Schachzüge. Sie hoffen, von einem Sieg zu profitieren. Im Bergen- und Stockholmhandel, in dem ich tätig bin, herrscht große Unruhe. Gleiches gilt für denWaffenhandel. Wo Unsicherheit herrscht, tun sich auch viele Möglichkeiten auf. Und was ist mit Euch? Habt Ihr wirklich die Absicht, Euch dauerhaft in Lübeck niederzulassen?«
Adrian lachte auf. »Wollt etwa auch Ihr mich loswerden? Dann müsste ich mir wirklich Sorgen machen!«
Hermanus von Osenbrügghe lachte mit ihm. »Nein, mein Freund, nein. Ich fragte
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