Happy End am Mittelmeer
Gesichter ihrer Eltern verschwommen vor ihrem geistigen Auge und hatte einen Kloß im Hals. Sie waren so gute Menschen gewesen. Das Leben war nicht fair.
„Du erinnerst dich überhaupt nicht an Ambria?“, hakte David nach.
Ayme schaute ihn an. „Ich war achtzehn Monate alt, als ich es verließ.“
„Etwas zu jung, um die politische Geschichte des Landes zu verstehen“, räumte er ein. „Also weißt du gar nichts über das Land?“
„Doch, etwas.“ Sie zuckte die Achseln. „Es gab im Haus einige Bücher.“ Sie bekam leuchtende Augen, weil sie sich an etwas erinnerte. „Einmal kam ein Onkel vorbei, sagte Sam und mir, dass wir beide richtige Ambrianerinnen seien, und erzählte uns einiges.“ Sie lächelte, als sie daran dachte, wie begeistert sie und Sam an seinen Lippen gehangen hatten und wie stolz sie gewesen waren, zu etwas zu gehören, das sie von all ihren Freunden unterschied. Ambrianerin. Das klang irgendwie exotisch.
„Schade, dass deine Eltern dir nicht mehr erzählt haben.“
„Ja, vielleicht.“ Ayme nickte. Aber sie mussten sich ja nicht nur um die Erziehung von uns beiden Mädchen kümmern. Sie hatten beide auch noch ihren Beruf und brachten uns nebenbei zur Tanzschule und zur Geigenstunde, und …“
Sie bewegte sich unruhig. Das war wieder zu schmerzhaft. Sie hatte ihm noch nicht von ihren Eltern erzählt, wusste auch nicht, ob sie es je tun würde. Sie wusste nur, wenn sie es tat, würde sie zusammenbrechen, und das wollte sie auf keinen Fall. Deshalb war es besser, beim Thema Vergangenheit zu bleiben.
„Sie waren großartige Eltern“, sagte sie, obwohl es rechtfertigend klang. „Sie hatten nur nicht so eine Verbundenheit zu Ambria, glaube ich.“ Ihre Miene hellte sich auf. „Aber als Ambrianerin bekam ich ein Stipendium der rechtswissenschaftlichen Fakultät und nach dem Examen sogar schnell eine Anstellung.“
Er horchte auf. Das war der springende Punkt. „Du arbeitest in einer ambrischen Anwaltskanzlei?“
„Na ja, viele Kollegen sind ambrischer Herkunft. Aber wir sprechen nicht ambrisch.“
Das war alles sehr interessant. Die Verbindung zu Ambria war am Ende viel wichtiger, als sie ahnte – dessen war er sich sicher. Sein Kiefer spannte sich an, und er musterte sie, weil er im Grunde immer noch weder wusste, warum sie aufgekreuzt war, noch wer sie geschickt hatte.
Gewiss gab es dafür eine durchaus mögliche Erklärungen. Sie konnte, wenn auch unwissentlich, eine Strohfrau des wahren Attentäters sein. Oder jemand, der die Lage auskundschaften und sicherstellen sollte, dass er, David, niemals zu einer Gefahr für das derzeitige Regime in Ambria wurde. Es war schwer zu sagen, aber er war zunehmend davon überzeugt, dass sie nicht mehr wusste als das, was sie ihm erzählt hatte.
Gleichwohl hätte er sie nicht mitnehmen sollen, denn sie konnte nicht bei ihm bleiben. Ende der Woche wurde er beim Jahrestreffen der ambrischen Exilgemeinde in Italien erwartet. Er hatte sich auf die Zukunft von Ambria zu konzentrieren, nicht auf Ayme und Cici. Er durfte sie nicht mitnehmen.
Also – was machte er jetzt mit ihnen?
Er hatte Ayme versprochen, ihr bei der Suche nach Cicis Vater zu helfen, und er wollte sein Versprechen halten. Das machte die Sache nicht einfacher, zumal sein Name im Spiel war und ihm nicht viel Zeit blieb. Aber er hatte einige Kontakte. Er würde tun, was er konnte, um zu helfen.
Ihm fiel nur Marjan an, seine Adoptivschwester, die mit ihrem Ehemann und zwei Kindern in einem kleinen Bauerndorf im Norden Hollands lebte. Der Ort war schön abgelegen, dort konnte man gut untertauchen.
„Würdest du also sagen …“, griff er das Gespräch wieder auf, „… dass es dich nicht wirklich interessiert, wer Ambria regiert?“
„Nicht interessiert?“ Sie sah ihn verblüfft an. „Hm, das habe ich mir nie überlegt.“
„Natürlich nicht.“
Er wandte sich ab, und seine Lippen verzogen sich in einem Anflug von Bitterkeit. Interessierten sich nur noch er und sein Bruder dafür? Falls dem so wäre, würde es schwer sein, andere für ihre Sache zu gewinnen. Allerdings musste er zugeben, dass seine Gefühle auch erst durch seine Beziehung zu seinem Bruder so stark geworden waren. Als er Monte noch nicht kannte, hatte er ein großes, sogar brennendes, aber recht diffuses Interesse an Ambria. Es bedurfte eines intensiven Erfahrungsaustausches mit seinem Bruder, um es präziser auszuformen.
Es war spannend gewesen, und ein Lebenstraum hatte sich erfüllt, als er
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