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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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hinausgewachsen und zog immer weitere Kreise. Wohin das noch führen sollte, war mir ein Rätsel.
    »Weshalb sind denn alle gestorben?«, fragte ich das Mädchen.
    »Ich weiß es nicht. Die Ursache ist nicht klar. Man weiß, dass im Hirn eine Fehlfunktion auftrat, aber wie und warum sie entstand, liegt im Dunkeln.«
    »Es muss doch eine Vermutung geben!«
    »Mein Großvater meinte, wahrscheinlich könne der gewöhnliche Mensch das Gleißen im Zentrum des Bewusstseins nicht aushalten, sodass das Hirngewebe eine Art Antikörperchen zu produzieren versuche. Diese Reaktion setze aber zu schnell und zu heftig ein und führe zum Tode. Tatsächlich stellt sich das Ganze etwas komplizierter dar, aber das ist in groben Zügen die Erklärung.«
    »Und weshalb habe ich dann überlebt?«
    »Bei dir sind die Antikörperchen wahrscheinlich von Natur aus vorhanden gewesen. Das, was ich als deine Gefühlsschale bezeichnet habe. In deinem Gehirn muss sie bereits existiert haben, deshalb hast du überlebt. Um die Hirnmasse zu schützen, hat mein Großvater versucht, eine solche Schale künstlich zu produzieren; sie habe sich aber, wie er sagt, als zu dünn erwiesen.«
    Ich ließ mir das eine Weile durch den Kopf gehen. »Ist diese Schale beziehungsweise sind diese Antikörperchen oder was auch immer angeboren?«
    »Zum Teil wohl angeboren, zum Teil auch später erworben, glaube ich. Aber dazu hat mein Großvater nichts mehr gesagt. Zu viel darüber zu wissen wäre zu gefährlich für mich. Nach Berechnungen auf der Basis der Hypothese meines Großvaters verfügt jedenfalls nur einer von einer oder anderthalb Millionen Menschen über diese Antikörperchen, und entdecken lassen sie sich zurzeit nur, wenn man dem oder der Betreffenden die Fähigkeit zu shuffeln vermittelt.«
    »Dass ich unter den sechsundzwanzig war, war demnach – vorausgesetzt, die Hypothese deines Großvaters stimmt – ein außerordentlicher Glücksfall?«
    »Deshalb bist du als Versuchsperson so wichtig, kannst du Schlüssel zur Tür sein.«
    »Was hatte dein Großvater denn eigentlich mit mir vor? Was hat es mit den Daten, die er mich hat shuffeln lassen, und mit diesem Einhornschädel auf sich?«
    »Wenn ich das wüsste, könnten wir dich gleich hier und jetzt aus aller Gefahr befreien«, sagte das Mädchen.
    »Mich und die Welt«, sagte ich.

    Im Büro herrschte ziemliches Chaos, auch wenn es nicht derart auf den Kopf gestellt worden war wie meine Wohnung. Papiere lagen auf dem Boden verstreut, den Schreibtisch hatte man umgestürzt, den Tresor aufgebrochen, die Schubladen aus den Regalschränken gerissen, und auf der zerschlitzten Bettcouch lagen in wilder Unordnung die aus den Spinden gezogenen Kleidungsstücke des Professors und des Mädchens. Die des Mädchens waren wirklich alle rosa. Rosa in allen Schattierungen, rosenzart bis pinkviolett.
    »Ist das nicht furchtbar?«, sagte das Mädchen kopfschüttelnd. »Die müssen von unten gekommen sein.«
    »Glaubst du, das waren die Schwärzlinge?«
    »Nein. Die Schwärzlinge steigen nicht an die Erdoberfläche, und wenn, dann würde es nach ihnen riechen.«
    »Riechen?«
    »Nach Fisch und Schlamm, ein unangenehmer Geruch. Nein, das waren nicht die Schwärzlinge. Sieht eher nach denen aus, die deine Wohnung auf den Kopf gestellt haben.«
    »Könnte sein«, sagte ich und sah mich noch einmal um. Vor dem umgestürzten Schreibtisch funkelte im Neonlicht ein Haufen verstreuter Büroklammern, der Inhalt einer ganzen Schachtel. Die Büroklammern hatten zuvor schon irgendetwas bei mir ausgelöst; ich tat, als suche ich den Boden ab, und steckte mir eine Hand voll in die Hosentasche.
    »Sind hier irgendwelche wichtigen Sachen aufbewahrt worden?«
    »Nein. Hier liegt nur unbedeutendes Zeug. Die Geschäftsbücher, Quittungen, weniger wichtige Forschungsunterlagen, so etwas. Nichts, was unter keinen Umständen wegkommen dürfte.«
    »Hoffentlich ist das Signalgerät zur Abschreckung der Schwärzlinge noch in Ordnung.«
    Aus dem Wust von Sachen, der sich vor den Spinden türmte – Taschenlampen befanden sich darunter, ein Radiokassettenrecorder, ein Wecker, ein Tesaspender, eine Dose Hustenbonbons – zog sie ein kleines, wie ein Spannungsmesser aussehendes Gerät hervor und schaltete es mehrmals ein und aus.
    »Ist okay. Funktioniert. Man hat es bestimmt für wertlos gehalten. Außerdem ist es ganz schlicht konstruiert, so schnell geht es nicht kaputt«, sagte sie.
    Dann ging das dicke Mädchen in eine Ecke des Zimmers,

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