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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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gesteckt. Die Dicke hatte ihre mit dem Riemen um die Schultern geschlungen; die Lampe baumelte auf ihrem Rücken und strahlte nutzlos ins schwarze All. Wir sahen rein nichts. Schweigend kletterte ich diesem schwankenden Lichtstrahl nach.
    Um sicherzugehen, dass ich nachkam, sprach mich die Kleine ab und zu an. »Alles in Ordnung?«, sagte sie dann, oder: »Es ist nicht mehr weit.«
    Später sagte sie: »Willst du nicht was singen?«
    »Was denn?«, fragte ich.
    »Irgendwas. Irgendein Lied. Sing was!«
    »Ich singe nur, wenn ich alleine bin.«
    »Sing schon, komm!«
    Was sollte ich machen? Ich sang das Petschka - Li ed, das Lied vom Ofen.
    Heizt in der Nacht, wenn’s draußen schneit,
    den Ofen an –
    brenn, Petschka, brenn!
    Und erzählt von alter Zeit,
    brenn, Petschka, brenn!
    Die folgenden Strophen wusste ich nicht mehr, deshalb erfand ich einfach welche. Alle sitzen um den Ofen herum, als es an die Tür klopft. Der Vater steht auf und sieht nach. Ein verwundetes Rentier steht dort und weint: »Ich habe solchen Hunger, gebt mir bitte zu essen!« Man macht eine Dose Pfirsiche auf und gibt dem Rentier davon. Am Schluss sitzen alle um den Ofen und singen zusammen.
    »Du singst doch gut!«, lobte mich das Mädchen. »Leider kann ich nicht klatschen, aber das war ein wirklich schönes Lied!«
    »Vielen Dank«, sagte ich. »Jetzt bist du dran.«
    »Darf ich das Fahrradlied singen?«
    »Bitte sehr«, sagte ich.
    Früh des Morgens im April
    will ich über Stock und Stein
    neue Wege wagen,
    Richtung Wald, Richtung Wald.
    Rosa soll mein Fahrrad sein,
    Rosa soll mich tragen
    Richtung Wald, Richtung Wald.
    Lenker, Sattel, rosarot, und
    rosarot die Speichen.
    »Das klingt ja wie für dich geschrieben«, sagte ich.
    »Klar«, sagte sie. »Das ist mein ganz privates Lied. Gefällt es dir?«
    »Ja, sehr.«
    »Soll ich weitersingen?«
    »Ich bitte darum.«
    Farblich passt zum frühen Morgen
    nur das Rosarot.
    Andre Farben will ich nicht,
    andre Farben passen nicht.
    Rosa muss mein Fahrrad sein,
    rosa auch mein Hut.
    Und die Schuhe und die Hosen
    alles rosarot.
    »Okay, deine Vorliebe für Rosa kenne ich jetzt. Willst du nicht zur nächsten Strophe kommen?«
    »Das ist eine ganz wichtige Stelle!«, sagte das Mädchen. »Sag mal, gibt es eigentlich rosafarbene Sonnenbrillen?«
    »Ich meine, Elton John hätte mal eine getragen.«
    »Ja?«, sagte sie. »Aber egal. Hier ist die nächste Strophe.«
    Auf dem Wege stand ein Onkel,
    Onkelchen trug Blau.
    Blau war auch sein Stoppelbart,
    wie die Nacht, wie die Nacht,
    wie die lange Nacht.
    »Soll ich das sein?«, fragte ich.
    »Nein. Du kommst in dem Lied nicht vor.«
    »Im Wald regiert das wilde Tier,
    Mädchen, fahr nicht hin!
    Wasser kann bergauf nicht fließen,
    fahr nicht, Kind, es schadet dir!«

    Doch ich fahr auf meinem Fahrrad
    früh des Morgens im April
    Richtung Wald, Richtung Wald.
    Fahr ich nur auf meinem schönen
    rosaroten Rad daher,
    kenn ich Furcht und Angst nicht mehr.
    Blau nicht, grau nicht, grün nicht, rot nicht,
    rosa muss mein Fahrrad sein!
    Kurz nachdem sie ihr »Fahrradlied« zu Ende gesungen hatte, hatten wir den Steilhang erklommen und kamen auf eine Art Hochplateau. Dort legten wir eine Pause ein und leuchteten mit den Lampen in die Runde. Das Plateau hatte ziemliche Ausmaße, flach wie ein Kaffeetisch erstreckte es sich, soweit das Auge reichte. Das Mädchen hockte sich gleich hin und las wieder ein halbes Dutzend Büroklammern auf.
    »Wo ist dein Großvater denn noch hin, Mensch?«, fragte ich.
    »Es kann nicht mehr weit sein. Von dem Plateau hat er oft erzählt, ich glaube, ich weiß, wo er ist.«
    »Dein Großvater ist also öfters hier gewesen?«
    »Klar. Um die Karte zeichnen zu können, hat er jeden Winkel abgegrast. Großvater kennt hier jede Ecke, jedes Schlupfloch, jeden Stein.«
    »Hat er das alleine gemacht?«
    »Natürlich«, sagte das Mädchen. »Großvater arbeitet am liebsten allein. Nicht, dass er Misanthrop wäre oder niemandem vertraute, aber die Leute kommen einfach nicht mit ihm mit.«
    »Ich glaube, das kann ich nachvollziehen«, sagte ich. »Aber sag mal, was hat es denn mit dem Plateau hier auf sich?«
    »Auf dem Berg haben einst die Vorfahren der Schwärzlinge gelebt. In Höhlen, die sie sich gegraben hatten. Und auf dem Plateau, wo wir jetzt stehen, hielten sie ihre religiösen Rituale ab. Hier wohnte ihr Gott. Hier standen ihre Priester oder Magier, riefen den Gott der Finsternis an und brachten ihm Opfer dar.«
    »Diesem

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