Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
Finger auf ein postkartengroßes Glasfensterchen in der Säule – was wohl heißen soll, ich möge dort hineinschauen. Ich sehe genauer hin und erkenne, dass das Fensterchen zu einer Tür in der Säule gehört, die mit einem Bolzen fest verriegelt ist. Dahinter ist parallel zum Boden ein riesiges ventilatorähnliches Ding befestigt, das sich mit unglaublicher Geschwindigkeit dreht. Als steckte ein Motor mit abertausend PS dahinter. Offenbar wird hier die Kraft des Windes – wer weiß, woher – genutzt, um den Ventilator zu bewegen, der damit wiederum Strom erzeugt.
    »Wind?«, sage ich.
    Der Mann nickt. Dann fasst er mich am Arm und führt mich zum Eingang zurück. Er ist knapp einen halben Kopf kleiner als ich. Wie zwei gute Freunde gehen wir einträchtig nebeneinander zur Tür, wo die Bibliothekarin wartet. Der junge Mann nickt ihr ebenso kurz zu wie mir vorhin.
    »Guten Tag«, sagt sie.
    »Guten Tag«, erwidert diesmal auch der Mann.
    Er führt uns auf ein Feld hinter dem Häuschen, wo man den Wind nicht so hört. Wir setzen uns auf Baumstümpfe, die beim Abholzen des Waldes stehen geblieben sind.
    »Entschuldigen Sie, ich kann nicht so laut sprechen«, sagt der junge Verwalter, als müsse er sich rechtfertigen. »Sie sind von der Stadt, nicht wahr?«
    Ich bejahe.
    »Wie Sie selbst gesehen haben«, sagt der junge Mann, »wird die Stadt durch Windenergie mit Elektrizität versorgt. Man nutzt dazu den Wind, der durch das riesige Loch in der Erde hier hochbläst.« Der Mann starrt eine Weile schweigend auf den Feldboden zu seinen Füßen. »Der Wind kommt einmal alle drei Tage hoch. Hier drunter sind eine Menge Höhlen, in denen sich Wind und Wasser hin und her bewegen. Ich halte die Anlage in Ordnung. Wenn kein Wind bläst, blockiere ich den Ventilator zum Beispiel oder fette ihn ein. Und ich achte darauf, dass die Hebel nicht einfrieren. Die Elektrizität, die hier erzeugt wird, leite ich durch ein unterirdisches Kabel zur Stadt hinunter.«
    Der Verwalter lässt seine Augen über das von hohen Bäumen eingeschlossene Feld schweifen. Der Ackerboden ist sauber gepflügt, doch angebaut ist noch nichts. »Immer wenn ich etwas Zeit habe, holze ich hier so nach und nach ein Stück Wald ab, um Felder anzulegen. Keine große Sache natürlich, ich bin ja alleine. Die ganz großen Bäume spare ich aus und wähle Flächen, die ich alleine bewältigen kann. Es tut mir gut, mit eigenen Händen etwas zu schaffen. Im Frühjahr kann ich sogar Gemüse anbauen. – Sind Sie gekommen, um sich das hier mal anzuschauen?«
    »So ungefähr, ja.«
    »Die Leute aus der Stadt interessiert das hier normalerweise nicht«, sagt der Verwalter. »Niemand kommt in den Wald hinein. Außer dem Lieferanten natürlich. Er bringt mir jede Woche, was ich zum Essen und zum Leben brauche.«
    »Leben Sie schon lange so alleine hier?«, frage ich.
    »Ja. Sehr lange schon. Die Maschine kenne ich aus dem Eff-eff, ich brauche nur hinzuhören, um zu wissen, was mit ihr los ist. Es ist, als würde ich jeden Tag mit ihr reden. Wenn man das so lange gemacht hat wie ich, weiß man Bescheid. Wenn sie gut läuft, geht es mir auch gut. Mit den Geräuschen des Waldes kenne ich mich auch aus. Er besitzt ganz unterschiedliche Stimmen. Als wäre er lebendig.«
    »Fällt es Ihnen denn nicht schwer, so ganz alleine im Wald zu leben?«
    »Ich wüsste nicht, was daran schwerer sein soll, als anderswo zu leben«, antwortet er. »Hier ist nun mal der Wald, und ich wohne hier. Basta. Einer muss schließlich auf die Maschine aufpassen. Außerdem liegt das Kraftwerk ganz vorn im Wald, wie es weiter drinnen aussieht, weiß ich nicht so genau.«
    »Gibt es außer Ihnen niemanden, der im Wald lebt?«, fragt die Bibliothekarin.
    Der Verwalter denkt eine Weile nach und nickt dann ein paar Mal leicht. »Doch. Ganz tief im Wald leben schon noch ein paar Leute, das weiß ich. Sie graben nach Kohle, roden und legen Felder an. Aber getroffen hab ich nur ganz wenige, und mit denen hab ich kaum ein paar Worte gewechselt. Sie akzeptieren mich nämlich nicht. Für sie ist der Wald die Heimat, ich wohne bloß hier, deshalb. Weiter hinten sollen noch viel mehr von ihnen leben, das ist aber schon alles, was ich weiß. Ich gehe nicht ins Waldesinnere, und sie kommen fast nie bis hierher.«
    »Haben Sie nicht irgendwann einmal eine Frau gesehen?«, fragt sie. »Eine Frau Anfang dreißig vielleicht?«
    Der Verwalter schüttelt den Kopf. »Nein, eine Frau habe ich nie gesehen. Nur Männer.«
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher