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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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eine Abfolge von Tönen, nichts weiter. Und die Konzertina auf dem Tisch ist und bleibt nichts weiter als ein schönes Ding. Plötzlich verstehe ich nur zu gut, was der Verwalter des Kraftwerks meinte, als er sagte: »Man braucht die Instrumente nicht zu spielen, sie sind einfach so schön, zum Ansehen.« Ich schließe die Augen und lausche den Schneeflocken, die ans Fenster klopfen.

    Um die Mittagszeit hören die Alten endlich auf zu graben und verschwinden im Haus. Spaten und Hacken lassen sie einfach auf dem Boden liegen.
    Ich sitze auf dem Stuhl vor dem Fenster und schaue auf das verlassene Loch hinunter, da klopft es an die Tür, und der Oberst von nebenan kommt herein. Er hat wie immer seinen dicken Mantel an und die Arbeitskappe auf, den Schirm vorne tief ins Gesicht gezogen. Kappe und Mantel sind voller Schneeflocken.
    »Schätze, bis heute Abend werden wir eingeschneit sein«, sagt er. »Soll ich das Mittagessen holen?«
    »Ja, danke«, sage ich.
    Nach knapp zehn Minuten kommt er mit einem Topf zurück, den er auf den Ofen setzt. Dann zieht er mit größter Sorgfalt, wie ein Krustentier, das seine Schale abstößt, Mütze, Mantel und Handschuhe aus. Schließlich streicht er sich mit den Fingern die zerzausten Haare glatt, setzt sich auf einen Stuhl und seufzt. »Konnte zum Frühstück nicht vorbeikommen, tut mir leid«, sagt der Alte. »Hatte von morgens früh an so viel zu tun, dass ich nicht mal Zeit zum Essen fand.«
    »Sie haben doch nicht etwa ein Loch gegraben?«
    »Ein Loch? Ach so, das Loch meinst du. Das ist nicht meine Arbeit. Nicht, dass es mir etwas ausmachen würde …«, sagt der Oberst und grinst. »Nein, ich war in der Stadt zum Arbeiten.«
    Unser Essen ist heiß. Er verteilt es auf zwei Teller, die er auf den Tisch stellt. Gemüseeintopf mit Nudeln. Er nimmt einen Löffel voll, bläst darauf und schiebt ihn genüsslich in den Mund.
    »Was hat denn das Loch da draußen zu bedeuten?«, frage ich den Oberst.
    »Nichts«, sagt der Oberst, während er den nächsten Löffel zum Mund führt. »Selbstzweck: Sie graben ein Loch, um ein Loch zu graben. In diesem Sinne das reinste aller Löcher.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Ganz einfach: Sie wollen ein Loch graben, also graben sie eins. Einen anderen Grund gibt es nicht.«
    Ich beiße in mein Brot und lasse meine Gedanken um der Welt reinstes Loch kreisen.
    »Sie graben eben von Zeit zu Zeit Löcher«, sagt der Alte. »Ist im Prinzip wohl dasselbe wie mein Schachfimmel. Es hat keinen Sinn und führt zu nichts. Aber das ist auch egal. Niemand braucht einen Grund, weil niemand etwas erreichen will. Wir alle hier sind gewissermaßen dabei, reine Löcher zu graben, jeder auf seine Weise. Handlungen ohne Ziel, Mühe ohne Fortschritt, Schritte, die zu nichts führen – ist das nicht wunderbar? Keinem wird wehgetan und keiner tut weh. Niemand überholt und niemand wird überholt. Keine Siege, aber auch keine Niederlagen.«
    »Langsam begreife ich, was Sie meinen.«
    Der Alte nickt ein paar Mal, widmet sich wieder seinem Gemüseeintopf und isst den letzten Löffel.
    »Mag sein, dass dir einiges hier in der Stadt unnatürlich erscheint. Aber für uns ist das alles natürlich. Natürlich, rein und friedlich. Du wirst das irgendwann auch noch begreifen – das wünsche ich mir jedenfalls. Ich war lange Zeit Soldat, und ich bereue es nicht. Es war ein gutes Leben. Ich erinnere mich heute noch manchmal an den Geruch von Kanonenpulver und Blut, an das Funkeln der Bajonette, an die Trompeten vor dem Sturmangriff. Doch an die Dinge, die uns damals zum Kampf angetrieben haben – das heißt an so etwas wie Ehre, Vaterlandsliebe, Kampfeslust oder Hass –, kann ich mich nicht mehr erinnern. Du fürchtest dich wahrscheinlich jetzt davor, deine Seele zu verlieren. Ich jedenfalls habe mich gefürchtet, damals. Dafür braucht man sich nicht zu schämen.« Hier bricht der Oberst ab und starrt eine Zeit lang in die Luft, als ringe er um die rechten Worte. »Aber eines musst du immer bedenken dabei:Wenn du dich von deiner Seele trennst, bekommst du Ruhe. Eine Ruhe, so tief, wie du sie noch nie genossen hast im Leben.«
    Ich nicke und sage nichts.
    »Übrigens, ich habe von deinem Schatten gehört, in der Stadt«, sagt der Oberst, während er seinen Teller mit Brot auswischt. »Demnach scheint es ihm von Tag zu Tag schlechter zu gehen. Er erbricht alles sofort wieder, was er zu sich genommen hat, und seit drei Tagen soll er sein Bett im Keller nicht mehr verlassen

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