Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
gespielt habe, und das war ein modernes Modell, ein Akkordeon mit Klaviatur. So kostet es einige Zeit und Mühe, bis ich mich an den altmodischen Aufbau und die Anordnung der Knöpfe gewöhnt habe. Da alles auf engstem Raum untergebracht werden musste, sind die Knöpfe klein und liegen zudem noch unglaublich nah beieinander. Für ein Kind oder eine Frau mag das angehen, aber für einen ausgewachsenen Mann wie mich ist es schon ein ziemliches Kunststück. Obendrein muss man noch seinen Rhythmus finden, um den Balg effektiv drücken und ziehen zu können.
Trotzdem, nach ein bis zwei Stunden bin ich so weit, dass ich die richtigen Knöpfe zur rechten Zeit finde und ein paar einfache Akkorde fehlerlos spielen kann. Aber in meinem Kopf taucht einfach keine Melodie auf. Wieder und wieder drücke ich die Knöpfe und versuche, eine Melodie zu erwischen – heraus kommt aber immer nur eine bedeutungslose Abfolge von Tonleiternoten, die mich nirgendwohin führen. Manchmal bringt mich eine zufällige Tonfolge ganz nah heran: Ich denke, gleich, gleich erinnere ich mich – aber schon entgleitet mir alles und löst sich in Luft auf.
Ich habe das unbestimmte Gefühl, die Spatengeräusche der Alten sind mit schuld, dass ich keine Melodie ausfindig machen kann. Sicher, das ist es nicht allein, aber das Stechen und Schieben geht mir doch auf die Nerven und stört mich in der Konzentration.Vorhin war ich schließlich schon fast so weit zu glauben, die Alten säßen direkt in meinem Kopf und grüben dort ihr Loch, weil ihre Arbeitsgeräusche dermaßen laut in meinen Ohren dröhnen. Sie graben und graben, und das Loch in meinem Kopf wird größer und größer.
Kurz vor Mittag frischt der Wind plötzlich auf, Schnee beginnt sich darunter zu mischen. Schneeflocken, klein, weiß, aber hart wie Eis, klopfen trocken an die Scheiben und fallen in unregelmäßigen Abständen auf das Fensterbrett, um bald wieder vom Wind fortgerissen zu werden. Noch bleiben sie nicht liegen, doch sehr bald werden es mehr werden; immer feuchtere, dickere und weichere Flocken werden fallen. Das ist jedes Mal so, genau in dieser Reihenfolge. Und am Ende wird die Erde wieder in ein weißes Kleid gehüllt sein. Eisiger Schnee ist stets der Vorbote starken Schneefalls.
Die Alten draußen scheint das Wetter nicht sonderlich zu stören; sie graben einfach weiter, als hätten sie von vornherein gewusst, dass Schnee fallen wird. Keiner von ihnen sieht zum Himmel auf, keiner legt den Spaten aus der Hand, keiner sagt etwas. Sogar die Jacke bleibt am Ast hängen. Wild flattert sie im Wind.
Es sind jetzt sechs alte Männer da draußen. Von den beiden, die hinzugestoßen sind, hat einer eine Hacke, der andere einen Handkarren. Der mit der Hacke steht im Loch und schlägt den harten Boden auf, der mit dem Handkarren schaufelt die neben dem Loch aufgehäufte Erde auf den Karren und fährt sie zur Böschung, wo er sie ablädt. Selbst das Heulen des heftigen Windes vermag die Geräusche von Spaten, Schaufel und Hacke nicht zu übertönen.
Ich lasse das Lied Lied sein, stelle die Konzertina auf den Tisch zurück, gehe zum Fenster und sehe den Alten eine Weile bei der Arbeit zu. Einen Vorarbeiter scheinen sie nicht zu haben, alle arbeiten gleichberechtigt nebeneinander, niemand weist an oder gibt Befehle. Der mit der Hacke zerstößt sauber und effektiv den harten Boden, die vier heben die Erde mit ihren Spaten aus dem Loch, und der mit der Handkarre fährt sie still zur Böschung.
Aber wenn ich mir das Loch so ansehe, bekomme ich meine Zweifel. Für eine Müllgrube ist es unnötig groß, außerdem, so kurz vor dem großen Schnee macht es absolut keinen Sinn. Es muss einen ganz bestimmten Zweck haben. Trotzdem, der Schnee wird hineinwehen, und bis morgen früh wird das Loch vollkommen zugeschneit sein. Die Alten sehen die Wolken doch auch, ihnen muss das alles doch bewusst sein! Der Schnee hat schließlich jetzt schon den Fuß des nördlichen Bergkamms erreicht. Das Massiv ist hinter einer Wand aus Schnee und Nebel verschwunden.
Immer wieder lasse ich meine Gedanken um dieses Problem kreisen, doch ich bringe einfach keinen Sinn in die Arbeit der Alten; schließlich forsche ich nicht weiter nach, kehre auf meinen Stuhl vor dem Ofen zurück und starre in die rot glühende Kohle. Ein Lied wird mir wohl auch nie mehr einfallen, mit oder ohne Musikinstrument – ist sowieso alles egal. Man kann Noten aneinander reihen, solange man will – ohne Melodie sind und bleiben sie nur
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