Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
Häuser entlang des Flusses, der nördliche Bergkamm, gezackt wie ein Sägeblatt. Außer dem Rauschen des Flusses dringt kein Laut an mein Ohr. Auch die Vögel sind wohl schon irgendwohin abkommandiert worden.
Sie hat gesagt, dass ich vielleicht hierher gekommen sei, um Ruhe zu finden. Doch das zu ergründen liegt nicht in meiner Macht.
Um mich herum wird es stockdunkel, und als auf dem Weg entlang des Flusses die Straßenbeleuchtung angeht, mache ich mich durch die menschenleeren Straßen Richtung Westhügel auf den Weg.
5 HARD-BOILED WONDERLAND
BERECHNUNGEN, EVOLUTION, SEXUALTRIEB
Während der Alte unterwegs nach oben war, um seiner Enkelin, die er tonlos zurückgelassen hatte, die Stimme wiederzugeben, arbeitete ich bei Kaffee still an den Berechnungen.
Wie lange der Alte weg war, weiß ich nicht. Ich hatte den Alarm meiner Digitalarmbanduhr auf einen Zyklus von 1 Stunde – 30 Minuten – 1 Stunde – 30 Minuten eingestellt, und nach diesem Rhythmus rechnete ich und pausierte, rechnete, pausierte. Die Zeitanzeige der Uhr hatte ich ausgeschaltet. Die Zeit im Kopf erschwert das Rechnen. Wie spät es jeweils ist, hat für meine Arbeit nicht die geringste Bedeutung. Wenn ich mit den Berechnungen beginne, fängt die Arbeit an, und wenn ich mit den Berechnungen fertig bin, ist die Arbeit zu Ende. Wichtig ist für mich allein der Zeitzyklus 1 Stunde – 30 Minuten – 1 Stunde – 30 Minuten.
Während der Abwesenheit des Alten habe ich, glaube ich, zwei- oder dreimal pausiert. Ich legte mich aufs Sofa und dachte an nichts Bestimmtes, ging zur Toilette, machte Liegestütze. Auf dem Sofa lag es sich sehr bequem. Es war nicht zu hart und nicht zu weich, und auch das Kopfkissen war gerade richtig. Bei meiner Arbeit komme ich viel herum und lege mich in den Pausen stets hin, aber bequeme Sofas finde ich selten. In der Regel sind es ungeschlachte Dinger, die man sich aufs Geratewohl angeschafft zu haben scheint, und selbst die schönen Sofas, denen man auf den ersten Blick ansieht, dass sie teuer waren, enttäuschen meistens, wenn man sich erst einmal darauf ausstreckt. Warum die Leute bei der Wahl ihrer Sofas dermaßen nachlässig sind, ist mir ein Rätsel.
Ich bin davon überzeugt – das ist eines meiner Vorurteile –, dass sich die Vornehmheit eines Menschen in der Wahl seines Sofas zeigt. Das Sofa ist eine der festen Burgen, die sich nicht erschüttern lassen. Das wissen aber nur die, welche mit bequemen Sofas groß geworden sind. Es ist dasselbe, wie mit guten Büchern oder guter Musik groß geworden zu sein. Ein gutes Sofa gebiert wieder ein gutes, ein schlechtes ein schlechtes. So ist das nun einmal.
Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die Luxuslimousinen fahren, zu Hause aber höchstens zweit- oder drittklassige Sofas haben. Solchen Leuten traue ich nicht. Ein teures Auto hat seinen Wert, ohne Frage, aber es ist und bleibt eben nur ein teures Auto. Jeder, der Geld hat, kann sich eins kaufen. Zum Erwerb eines guten Sofas aber braucht man Würde, Erfahrung, Philosophie. Geld braucht man auch, aber eben nicht nur Geld allein. Ohne feste Vorstellung davon, was Sofa heißt, kann man ein erstklassiges nie und nimmer erstehen.
Das Sofa des alten Herrn, auf dem ich mich ausstreckte, war ohne jeden Zweifel von erster Güte. Das nahm mich für ihn ein. Ich machte mich lang, schloss die Augen und dachte über den Alten nach, der so seltsam sprach und so seltsam lachte. Ich vergegenwärtigte mir, dass er Ton wegnahm: Damit gehörte er als Wissenschaftler, das stand wohl außer Zweifel, zur absoluten Spitzenklasse. Welcher normale Wissenschaftler kann schon nach Belieben Ton ab- und anstellen? Ein normaler Wissenschaftler käme nicht einmal auf die Idee, so etwas zu unternehmen. Der Alte musste also außerdem ziemlich exzentrisch sein. Seltsame Käuze und Misanthropen sind unter Wissenschaftlern nicht gerade eine Seltenheit, aber wer ging schon so weit, sich tief unter der Erde, hinter einem Wasserfall vor allen Blicken verborgen, ein Geheimlabor einzurichten?
Wenn er seine Technik des Tonein- und -ausschaltens vermarktete, würde er ein enormes Vermögen machen. Zunächst verschwänden sämtliche Audioanlagen aus den Konzerthallen. Die riesigen Verstärker würde man ja nicht mehr brauchen. Ferner könnte man alle Störgeräusche einfach abschalten. Mit Dephonatoren ausgestattete Flugzeuge wären für Flughafenanrainer die reine Wohltat. Andererseits ließe sich diese Technologie zweifellos auch zu
Weitere Kostenlose Bücher