Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
26 Muskelpartien. Wenn man sie gewissenhaft ausführt, erholt sich das Gehirn rasch, und je rascher es sich erholt, desto länger kann man als Kalkulator arbeiten. Das Kalkulatorensystem existiert noch keine zehn Jahre, sodass niemand genau weiß, wie lange man in diesem Beruf arbeiten kann. Zehn Jahre, sagen manche, und manche sagen zwanzig. Andere behaupten, man könne das ein ganzes Leben machen. Es gibt auch die Theorie, dass man über kurz oder lang zum Krüppel würde. Aber das sind alles nur Spekulationen. Was ich tun konnte, war, gewissenhaft meine 26 Muskelpartien zu lockern. Das Spekulieren muss man den Spekulanten überlassen.
Nach den Lockerungsübungen setzte ich mich aufs Sofa, schloss die Augen und verfugte langsam das linke und das rechte Hirn wieder zu einer Einheit. Damit war meine Arbeit beendet. Genau nach Handbuch.
Der Alte stellte einen Schädel, der aussah wie der eines großen Hundes, auf den Schreibtisch, maß ihn mit einem Nonius genau aus und übertrug die Werte mit einem Bleistift auf die kopierte Fotografie des Schädels.
»Fertig?«, fragte der Alte.
»Fertig«, sagte ich.
»Das war ja ein schönes Stück Arbeit, vielen Dank!«, sagte er.
»Ich gehe jetzt heim und lege mich schlafen. Morgen oder übermorgen führe ich zu Hause das Shuffling durch und bringe die Daten auf alle Fälle bis spätestens überübermorgen Mittag bei Ihnen vorbei. Das ist recht, ja?«
»Wunderbar, wunderbar«, sagte der Alte und nickte. »Aber bitte absolut pünktlich sein! Sie dürfen sich auf keinen Fall verspäten! Das hätte furchtbare Folgen.«
»Verlassen Sie sich auf mich«, sagte ich.
»Und passen Sie gut auf, dass Ihnen niemand die Listen entwendet. Wenn die Listen wegkommen, sitze ich in der Tinte. Und Sie auch.«
»Keine Sorge. In dieser Hinsicht sind wir bestens geschult. Gewaschene Daten lassen wir uns nicht entwenden.« Ich entnahm der innen in der Hose angebrachten Sondertasche eine Art metallene Brieftasche, die für wichtige Dokumente gedacht ist, verstaute die Zahlenlisten darin und verschloss sie. »Dieses Schloss kann nur ich öffnen. Wenn jemand anders versucht, das Schloss zu entfernen, werden die Dokumente vernichtet.«
»Eine hübsche Vorrichtung«, sagte der Alte.
Ich verstaute die Brieftasche wieder in der Hoseninnentasche.
»Möchten Sie vielleicht noch ein paar Sandwiches? Es sind noch welche da, und ich esse während der Arbeit fast nichts; es wäre schade, wenn sie übrig blieben.«
Da ich noch Hunger hatte, nahm ich das Angebot an und verputzte den ganzen Rest. Die Gurkensandwiches, auf die sich der Alte beim Essen konzentriert hatte, waren alle, es gab nur noch welche mit Schinken und Käse. Aber da ich nicht besonders scharf auf Gurken bin, ging das in Ordnung. Der Alte schenkte Kaffee nach.
Ich zog wieder den Gummimantel an, setzte die Schutzbrille auf und kehrte mit der Taschenlampe in der Hand den unterirdischen Gang entlang zurück. Diesmal kam der Alte nicht mit.
»Die Schwärzlinge habe ich mit Schallwellen vertrieben, die werden sich fürs Erste nicht wieder blicken lassen«, sagte der Alte. »Die haben selbst auch Angst, hier aufzutauchen. Die kommen bloß auf Weisung der Semioten, da genügt es, sie ein bisschen einzuschüchtern.«
Gleichwohl war es nun, da ich wusste, dass irgendwo unter der Erde Schwärzlinge und dergleichen existierten, nicht gerade ein Vergnügen, allein durch die Dunkelheit zu wandern. Und zwar umso weniger, da ich nicht wusste, wer diese Schwärzlinge eigentlich waren, welche Gestalt und welche Gewohnheiten sie hatten und wie man sich vor ihnen schützen konnte. Ich nahm den Weg, den ich gekommen war, immer den unterirdischen Bach entlang, in der Linken die Taschenlampe, in der Rechten mein Messer.
Als ich dann am Fuße der langen Aluminiumleiter, die ich auf dem Hinweg herabgestiegen war, die Dicke in dem rosafarbenen Kostüm entdeckte, fühlte ich mich wie gerettet. Sie schwenkte ihre Taschenlampe. Als ich bei ihr ankam, sagte sie etwas, aber der Ton des Baches schien wieder eingeschaltet worden zu sein, sodass ich wegen des Rauschens nichts hören konnte, und da es zum Lippenlesen zu dunkel war, hatte ich keine Ahnung, was sie gesagt hatte.
Wir ließen es dabei bewenden und stiegen erst einmal die Leiter hoch, hoch ins Helle. Ich kletterte voran, das Mädchen kam nach. Die Leiter war furchtbar hoch. Beim Abstieg war ich wegen der absoluten Dunkelheit ohne Angst einfach abgestiegen, aber nun beim Aufstieg konnte ich mir Stufe
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