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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mitten in der Wüste auf ein Einhorn. Es hatte den Kopf eines Pferdes, auf der Stirn ein einzelnes Horn, sein Fell war grün, es hatte den Körper eines Hirsches und sprach die Sprache der Menschen. Es sagte Folgendes: Für euren Herrn ist die Zeit gekommen, in sein eigenes Land zurückzukehren. ›Einer der chinesischen Minister Dschingis Khans erklärte auf Befragen, dieses Tier sei eine besondere Art k’i-lin, ein chio-tuan. »Seit vierhundert Jahren kämpft das große Heer in den westlichen Gebieten«, sagte er. »Der Himmel, der Blutvergießen verabscheut, warnt uns durch das chio-tuan. Verschone das Reich, um des Himmels willen. Zurückhaltung wird grenzenlose Freude bringen.« Der Kaiser ließ seine Kriegspläne fallen.‹ So unterschiedlich sieht man also im Osten und im Westen ein und dasselbe Tier. Im Osten steht es für Ruhe und Frieden, im Westen symbolisiert es Aggression und Wollust. Aber wie auch immer: Das Einhorn ist ein fiktives Tier, und gerade wegen dieser Fiktionalität konnte man ihm nach Belieben besondere Bedeutungen zukommen lassen.«
    »Existieren wirklich keine einhornigen Tiere?«
    »Es gibt den zu den Delphinen gehörenden Narwal, das See-Einhorn, aber eigentlich handelt es sich dabei nicht um ein Horn, sondern um einen hoch aus dem Kopf gewachsenen Oberkieferzahn. Er ist etwa zweieinhalb Meter lang, ganz gerade und in sich spiralförmig gedreht. Der Narwal ist allerdings eine besondere Spezies von Meeressäuger, im Mittelalter dürften ihn die Menschen kaum zu Gesicht bekommen haben. Unter den mannigfaltigen Arten von Säugetieren, die im Miozän auftraten und wieder verschwanden, waren nicht wenige, die Einhörnern ähneln. Zum Beispiel hier …« Sie nahm die Archäologie der Tiere in die Hand und schlug eine Seite im hinteren Drittel auf. »Zwei Arten von Wiederkäuern, die im Miozän, also vor ungefähr zwanzig Millionen Jahren, auf dem nordamerikanischen Kontinent gelebt haben sollen. Das linke Tier ist ein Synthetokerus, das rechte ein Craniokerus. Beide sind dreihörnig, aber eins der Hörner steht jeweils allein.«
    Ich nahm das Buch und schaute mir die Abbildungen an. Der Synthetokerus sah aus wie eine Kreuzung zwischen einem kleinen Pferd und einem Hirsch; er hatte zwei Hörner wie ein Rind und ein weiteres langes, oben ypsilonförmig gegabeltes auf der Schnauze. Der Schädel des Craniokerus war vergleichsweise runder; er trug ein Geweih wie ein Hirsch, hatte zusätzlich aber noch ein nach hinten stehendes langes, spitzes, oben gekrümmtes Horn. Beide Tiere wirkten irgendwie grotesk.
    »Tiere mit einer ungeraden Zahl von Hörnern sind aber schließlich fast alle ausgestorben«, sagte sie und nahm das Buch wieder an sich. »Tiere mit einem oder einer ungeraden Zahl von Hörnern sind, wenn wir uns einmal auf die Säuger beschränken, extrem selten, evolutionäre Anomalien oder, andersherum gesagt, Stiefkinder der Entwicklungsgeschichte. Bei anderen Gattungen als den Säugern, zum Beispiel den Sauriern, gab es zwar welche mit drei Hörnern, aber das war eine absolute Ausnahmeerscheinung. Ein Horn ist eine für sich sehr wirksame Waffe, drei braucht man einfach nicht. Stell dir eine Gabel vor: Mit der Zahl der Hörner wächst der Widerstand, das Stechen wird aufwendiger. Und wenn eines davon auf etwas Hartes stößt, kann es rein von der Mechanik her sein, dass keines sich in den Gegner bohren kann. Und wenn unser Tier es mit mehreren Angreifern zu tun hat, fällt es ihm bei drei Hörnern schwerer, einen aufzuspießen, seine Hörner wieder herauszuziehen und sich dem nächsten zuzuwenden.«
    »Der Widerstand ist größer, das dauert«, sagte ich.
    »Genau«, sagte sie und drückte mir mit drei Fingern auf die Brust. »Das ist der Schwachpunkt der Mehrhörner. Lehrsatz Nummer 1: Ein oder zwei Hörner sind wirkungsvoller als drei oder mehr. Nun zum Schwachpunkt der Einhörner. Das heißt, vorher sollte ich vielleicht noch kurz die Notwendigkeit der Zweihörnigkeit erläutern. Zunächst ist von Vorteil, dass sie der Links-rechts-Symmetrie des tierischen Körperbaus entspricht. Das Verhaltensmuster aller Tiere basiert auf einer Links-rechts-Balance beziehungsweise auf einer entsprechenden Zweiteilung der Kräfte. Nasen, Nüstern und Rüssel haben zwei Öffnungen, und selbst der Mund funktioniert praktisch links-rechts-symmetrisch zweigeteilt. Nabel gibt es nur einen, aber das ist eine Art degeneriertes Organ.«
    »Was ist mit dem Penis?«, fragte ich.
    »Penis und Vagina bilden

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