Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
denn?«
»Computerbranche«, sagte ich. Das sage ich immer, wenn man mich nach meiner Arbeit fragt. Erstens stimmt das halbwegs, und zweitens haben die meisten Leute nicht genug Ahnung von Computern, um weitere Fragen zu stellen.
»Du bist gestresst, weil du über einen längeren Zeitraum geistige Arbeit geleistet hast, und dann klappt es vorübergehend nicht. Das ist ganz normal.«
»Aha«, sagte ich. Wahrscheinlich hatte sie Recht. Meine Erschöpfung, die ganzen unnatürlichen Ereignisse der beiden letzten Tage, die mich doch etwas mitgenommen hatten, und zuletzt ihr fürchterlicher, geradezu gewalttätiger Appetit, den ich hatte mit ansehen müssen, hatten mich vorübergehend impotent gemacht. Das konnte sein.
»Leg doch mal dein Ohr an meinen Bauch«, sagte sie. Und stieß die Decke bis zu den Füßen weg.
Sie hatte einen schönen, glatten, schlanken Körper, an dem kein Gramm Fett zu viel war. Auch ihre Brüste waren nicht übermäßig groß. Ich legte wie geheißen mein Ohr auf den wie Zeichenpapier flachen Teil zwischen ihren Brüsten und dem Bauchnabel. Dass ihr Bauch, der dermaßen mit Speisen voll gestopft worden war, sich dennoch nicht im Geringsten wölbte, grenzte an ein Wunder. Er schien wie der habgierig alles und jedes schluckende Mantel von Harpo Marx. Ihre Haut war dünn, weich und warm.
»Hörst du etwas?«, fragte sie.
Ich hielt den Atem an und lauschte. Aber außer dem gemächlichen Pulsieren ihres Blutes hörte ich nichts. Es war, als läge ich in einem stillen Wald und lauschte auf das ferne Schlagen einer Axt.
»Ich höre nichts«, sagte ich.
»Hörst du den Magen nicht arbeiten?«, sagte sie. »Wie er verdaut?«
»Genau weiß ich ja nicht Bescheid, aber große Geräusche entstehen beim Verdauen, glaube ich, nicht. Die Magensäfte zersetzen, das ist alles. Ein paar peristaltische Bewegungen gibt’s dabei natürlich, aber so geräuschvoll dürfte das nicht sein.«
»Kann sein, aber ich spüre ganz deutlich, dass mein Magen jetzt mächtig arbeitet. Hör noch mal genau hin.«
Ich konzentrierte mich ganz auf mein Ohr auf ihrem Bauch und betrachtete dabei halb abwesend ihren Unterbauch und das weiter vorn hochkräuselnde Schamhaar. Aber Magengeräusche irgendwelcher Art hörte ich nicht. In regelmäßigen Abständen zu hören war nur ihr Pulsschlag. In The Enemy Below – Duell im Atlantik gab es so eine Szene. Heimlich wie das von Curd Jürgens kommandierte U-Boot führte ihr riesiger Magen unter meinem lauschenden Ohr seine Verdauungsmanöver durch.
Ich ließ das Lauschen sein, löste meinen Kopf von ihrem Bauch, lehnte mich in die Kissen und legte ihr den Arm um die Schultern. Ihr Haar duftete.
»Hast du Tonic Water?«, fragte sie.
»Im Kühlschrank«, sagte ich.
»Ich würd gern einen Wodka Tonic trinken, geht das?«
»Klar.«
»Möchtest du auch etwas?«
»Dasselbe.«
Sie ging nackt, wie sie war, in die Küche, machte zwei Wodka Tonic und kam damit wieder ins Bett.
»Wie alt bist du?«, fragte sie.
»Fünfunddreißig«, sagte ich. »Single, ganz früher mal verheiratet. Keine Kinder, keine feste Freundin.«
»Ich bin neunundzwanzig. In fünf Monaten werd ich dreißig.«
Ich sah ihr noch einmal ins Gesicht. Für knapp dreißig hätte ich sie nie gehalten.
»Ich seh jünger aus, aber ich bin wirklich neunundzwanzig!«, sagte sie. »Aber sag mal, bist du nicht in Wirklichkeit ein Baseballspieler oder so?«
Vor Schreck hätte ich mich beinahe mit dem Wodka Tonic besabbert, den ich gerade angesetzt hatte. »Baseball?«, sagte ich. »Baseball habe ich schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr gespielt. Wie kommst du denn darauf?«
»Ich dachte, ich hätte dich im Fernsehen gesehen. Und ich schau mir nur Baseballübertragungen und Nachrichtensendungen an. Hast du vielleicht mit Nachrichten zu tun?«
»In den Nachrichten war ich noch nie.«
»Werbefernsehen?«
»Negativ«, sagte ich.
»Dann muss das einer sein, der genauso aussieht wie du … Nach Computerfachmann siehst du jedenfalls nicht aus«, sagte sie. »Evolution und so weiter, Einhörner, gut und schön, aber in der Hosentasche ein Klappmesser!«
Sie zeigte mit dem Finger auf meine Hose, die auf dem Boden lag. Aus der Gesäßtasche lugte das Messer hervor.
»Ich hab mit biologischer Datenverarbeitung zu tun, was Biotechnologisches. Da hängen Industrieprofite dran. In der letzten Zeit klaut jeder jedem die Daten, deswegen muss ich vorsichtig sein.«
»Aha«, sagte sie mit nicht gerade überzeugter Miene.
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