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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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einmal Punkt für Punkt durch. Das brachte mich jedoch nirgendwohin. Die Kernfrage war: Was hatte der Professor eigentlich vor? Solange ich die nicht beantworten konnte, hatten alle Vermutungen keinen Sinn. Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, was sich im Kopf des Alten abspielen mochte.
    Eines aber war mir klar – ich hatte, wenn auch durch den Lauf der Dinge quasi gezwungenermaßen, das System hintergangen. Wenn das herauskam – und früher oder später würde es herauskommen –, saß ich, wie dieser Fatzke von Verbindungsmann angekündigt hatte, ganz tief in der Tinte. Selbst wenn man berücksichtigte, dass ich, weil man mich bedroht hatte, lügen musste. Pardon würde man mir nie und nimmer geben.
    Während mir diese Dinge durch den Kopf gingen, begann die Wunde wieder so zu schmerzen, dass ich im Telefonbuch die Nummer des nächsten Taxiunternehmens heraussuchte und dort anrief, um mich zur Behandlung in ein Krankenhaus fahren zu lassen. Ein Handtuch auf die Wunde gepresst, zog ich weite Hosen an, dann meine Schuhe. Dazu musste ich mich vorbeugen. Es schmerzte, als würde ich mitten entzweigerissen. Ein läppischer Schnitt von kaum sechs Zentimetern, und der Mensch ist eine Jammergestalt. Er kann sich die Schuhe nicht richtig anziehen, und er kann keine Treppen mehr steigen.
    Ich fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten, setzte mich auf den Blumenkübel am Eingang und wartete auf das Taxi. Die Uhr zeigte halb zwei. Seit der Riese und der Knirps meine Wohnungstür demoliert hatten, waren erst zweieinhalb Stunden vergangen. Zweieinhalb wirklich lange Stunden. Sie waren mir vorgekommen wie zehn.
    Hausfrauen mit Einkaufskörben gingen an mir vorbei, eine nach der anderen. Aus den Supermarkttüten lugten Rettiche und Lauch. Ich beneidete die Frauen ein bisschen. Man demolierte ihnen nicht den Kühlschrank, und man schnitt ihnen nicht den Bauch auf. Wenn man sich nur um die Zubereitung von Lauch und Rettich und um das Vorankommen der Kinder kümmerte, verlief die Welt in friedlichen Bahnen. Man brauchte sich nicht mit Einhornschädeln abzugeben, und man musste sich nicht wegen unverständlicher Geheimkodes und komplizierter Handlungsabläufe den Kopf zerbrechen. Das war das gewöhnliche Leben.
    Ich dachte an meine Garnelen, die auf dem Küchenboden vor sich hintauten, an die Butter und die Tomatensoße. Man musste sie heute noch verzehren. Appetit hatte ich allerdings keinen.
    Auf einem roten Moped brauste der Postbote heran und verteilte geschickt die Post auf die Briefkästen neben dem Hauseingang. Es gab Kästen, die geradezu mit Post überfrachtet wurden, und es gab welche, die kaum etwas abbekamen. Meinen Briefkasten rührte der Bote nicht an. Er schaute nicht einmal hin.
    Neben den Briefkästen stand ein Gummibaum, in dessen Topf sich Eiskremstielchen und Zigarettenkippen sammelten. Der Gummibaum sah genauso erschöpft aus wie ich. Jeder ging einfach hin, warf seine Kippe in den Topf oder riss ein Blatt ab. Ich hatte keine Ahnung, seit wann der Gummibaum dort stand. Von seinem Zustand her zu urteilen, musste er schon ziemlich lange dort stehen. Jeden Tag ging ich an ihm vorbei, aber ich musste erst mit aufgeschnittenem Bauch auf ein Taxi warten, um ihn überhaupt wahrzunehmen.

    Der Arzt sah sich die Wunde an und fragte dann, wie ich sie mir zugezogen hätte.
    »Ärger, wegen einer Frau«, sagte ich. Eine andere Erklärung konnte ich ihm nicht anbieten. Der Schnitt stammte von einem Messer, das sah man sofort.
    »In solchen Fällen bin ich verpflichtet, die Polizei zu benachrichtigen«, sagte der Arzt.
    »Keine Polizei bitte«, sagte ich. »Ich bin an der Sache nicht ganz unschuldig, die Wunde ist glücklicherweise auch nicht tief. Können wir das nicht so regeln? Bitte!«
    Der Arzt meckerte ein bisschen herum, bedeutete mir dann aber, mich auf das Bett zu legen, desinfizierte, setzte ein paar Spritzen, nahm Nadel und Faden und nähte die Wunde mit wenigen geschickten Stichen zu. Als er fertig war, legte mir eine Schwester unter bösen Blicken einen dicken Mullverband an und schlang mir zur Stabilisierung eine Art Gummigürtel um die Hüften. Ich bot ein wunderliches Bild.
    »Möglichst wenig bewegen«, sagte der Arzt. »Außerdem keinen Alkohol, keinen Sex und nicht zu heftig lachen. Lassen Sie es eine Weile langsam angehen, lesen Sie ein bisschen. Kommen Sie morgen wieder.«
    Ich bedankte mich, zahlte an der Kasse meinen Obolus, nahm ein entzündungshemmendes Mittel in Empfang und fuhr nach Hause. Dort legte

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